Der Rote Fingerhut ist wohl eine der bekanntesten Giftpflanzen Europas. Seine positiv inotrope Wirkung ist seit Mitte des 19. Jahrhunderts bekannt. Aufgrund der geringen therapeutischen Breite und der schlechten Studienlage bei Herzinsuffizienz werden Digitoxin, wie auch das Digoxin aus dem Wolligen Fingerhut, heutzutage nur noch selten angewendet. Als Indikation bleibt das chronische tachykarde Vorhofflimmern.
zwei-, selten auch mehrjährige, krautige bis 2 m hohe Pflanze
unverzweigte bis schwach verzweigte Stängel
wechsel- oder grundständige einfache ganzrandige Laubblätter
zygomorphe 5-zählige glockenförmige Blüten in typischen endständigen traubigen Blütenständen; beim Roten Fingerhut rosa-rot, beim Wolligen Fingerhut weißlich und wollig behaart
eiförmige Kapselfrucht
Heimat
Westeuropa, Mitteleuropa und Nordafrika (Roter Fingerhut)
Ost und Südosteuropa (Wolliger Fingerhut)
Arzneilich verwendete Pflanzenteile
getrocknete Blätter (Digitalis purpureae folium; Digitalis lanatae folium) ausschließlich zur Gewinnung der herzwirksamen Steroide
Inhaltsstoffe
herzwirksame Steroidglykoside: Cardenolide, zum Beispiel Digitoxin im Roten Fingerhut, Digoxin im Wolligen Fingerhut
Digitanolglykoside
Steroidsaponine
Anthrachinonderivate
Flavonoide
Anwendung
keine phytotherapeutische Verwendung
keine Bearbeitung durch das HMPC
reine Inhaltsstoffe als Arzneimittel zugelassen bei Herzinsuffizienz und chronischem tachykarden Vorhofflimmern
Empfohlene Dosierung
Dosierung sollte aufgrund der geringen therapeutischen Breite und starken Unterschieden in der interindividuellen Empfindlichkeit vom Arzt eingestellt werden. Üblicherweise erfolgt eine Aufdosierung, gefolgt von einer niedrigeren Erhaltungsdosis.
Nebenwirkungen
Arrhythmien (häufig Doppel- oder Dreifachschläge)
Appetitlosigkeit, Übelkeit
Kopfschmerzen, Müdigkeit, psychische Veränderungen bis hin zu Psychosen
verändertes Farbsehen
Gynäkomastie
allergische Reaktionen
Thrombozytopenie
Lupus erythematodes
Wechselwirkungen
intravenöse Calciumgaben: verstärkte Toxizität
Arzneistoffe die Elektrolythaushalt beeinflussen, wie Diuretika und Blutdrucksenker im Renin-Angiotensin-Aldosteron System: Verstärkung der Toxizität über Beeinflussung v. a. der Kalium- und Magnesiumspiegel
Calciumkanalblocker, Antiarrhythmika, Captopril, Azol-Antimykotika, Spironolacton und einige Antibiotika können die Plasmakonzentration stark erhöhen
gehäufte Herzrhythmusstörungen bei gleichzeitiger Gabe von Betablockern, Suxamethoniumchlorid, tricyclischen Antidepressiva, Sympathomimetika und PDE-Inhibitoren wie Theophyllin oder Sildenafil
Johanniskrautextrakt, Neomycin, Rifampicin, einige Zytostatika, Sulfasalazin, MCP, Adrenalin, Salbutamol und Phenytoin senken die Serumkonzentration (Vorsicht auch beim Absetzen dieser Medikamente, da dann die Spiegel wieder stark ansteigen können!)
Kontraindikationen
Überempfindlichkeit
Verdacht auf Digitalisvergiftung
einige Herzerkrankungen, wie Kammertachykardie, AV Block II. oder III. Grad, thorakales Aortenaneurysma, hypertrophe Kardiomyopathie
Elektrolytstörungen wie Hypokaliämie, Hyperkalziämie, Hypomagnesiämie
Sauerstoffmangel
Abgabehinweise
genaues Einhalten der Dosierungsanweisung des Arztes, inklusive Einnahmezeitpunkte
Herstellerfirma nie ohne Rücksprache mit dem behandelnden Arzt wechseln
Beispiele für Monopräparate
Digimerck® (Digitoxin)
Digitoxin AWD (Digitoxin)
Digitoxin Philo (Digitoxin)
Lanicor® (Digoxin)
Lenoxin® (Digoxin)
Digacin® (Digoxin)
Weitere Informationen
Der Rote Fingerhut wurde weder in der Antike noch im Mittelalter als Arzneipflanze eingesetzt, vermutlich aufgrund der hohen Giftigkeit. Erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts erlangte er vor allem in England und Irland zunehmend Bedeutung, zunächst in abergläubischen Bräuchen, später aber auch bei Krankheiten wie Bronchitis. William Withering entdeckte die Wirkung des Fingerhuts bei durch Herzinsuffizienz verursachten Ödemen; Drebeyne erkannte etwa 75 Jahre später, dass diese Reaktion nicht auf einem diuretischen Effekt, sondern auf einer Wirkung am Herzen basiert.
Der Name „Fingerhut“ ist eine sehr alte Bezeichnung, die auf der Ähnlichkeit der Blüten mit einem bei Näharbeiten verwendeten Fingerhut beruht. Im Englischen kommt der Name „Foxglove“ von dem Mythos, dass Füchse sich die Blüten über die Pfoten ziehen, um ihre Schritte zu dämpfen.