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Phytopharmaka bewerten

Pflanzliche Ruhekissen

Pflanzliche Einschlafhilfen stehen bei vielen Kunden hoch im Kurs. Gelten sie doch als frei von Nebenwirkungen und nicht abhängig machend. Doch wirken sie überhaupt? Professor Dr. Robert Fürst aus Frankfurt verrät, welche Präparate empfehlenswert sind.
Elke Wolf
22.04.2021  08:30 Uhr

»Insgesamt ist die klinische Evidenzlage von Phytopharmaka zu gestörtem Schlaf als eher mäßig einzustufen«, fasste Professor Dr. Robert Fürst vom Institut für Pharmazeutische Biologie der Universität Frankfurt bei der Zentralen Fortbildungsveranstaltung der Landesapothekerkammer Hessen zusammen. Am besten sei die Datenlage zu Baldrianwurzel-Trockenextrakten zu bewerten.

In den medizinischen Leitlinien, die sich mit Schlafstörungen befassen, werden Phytopharmaka sehr unterschiedlich dargestellt, erklärte Fürst. So spricht die S3-Leitlinie »Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen« der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) für den therapeutischen Einsatz von Baldrian und anderen Heilpflanzen aufgrund der unzureichenden Datenlage keine Empfehlung aus. Die S1-Leitlinie »Nichtorganische Schlafstörungen« der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) hält jedoch hoch dosierten Baldrian für geeignet zur Unterstützung von verhaltenstherapeutischen Maßnahmen. »Ungünstige Kombinationen« wie jene von Baldrian und Johanniskraut sollten dabei nach Meinung der Experten nicht zum Einsatz kommen.

Der Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel (HMPC) der Europäischen Zulassungsbehörde EMA hat nur »einem bestimmten Trockenextrakt aus Baldrianwurzel und bestimmten Extraktkombinationen aus Baldrianwurzel und Hopfenzapfen den well-established Use zugebilligt. Alle anderen Drogen wie Passionsblumenkraut, Lavendelblüten oder -öl sowie Melissenblätter oder -öl wurden der Kategorie traditional Use zugeordnet«, informierte Fürst.

Für die Praxis ergibt sich laut dem Phytopharmaka-Experten, dass Baldrianwurzel-Trockenextrakte mit einem DEV von 3 -7,4:1, die mit dem Auszugsmittel 40 bis 70 % Ethanol hergestellt wurden (wie Sedonium®, Baldrivit®, Baldurat®, Luvased® mono, Baldriparan® Stark für die Nacht, Euvegal® balance), ab 12 Jahren bei nervöser Unruhe und Schlafstörungen eingesetzt werden können. Fürst empfiehlt bei nervöser Unruhe dreimal am Tag eine Dosis von 400 bis 600 Milligramm Trockenextrakt. Schlafstörungen ließen sich mit einer Einzeldosis eine halbe bis eine Stunde vor dem Zubettgehen und eventuell einer Dosis am frühen Abend behandeln.

Fürst wies darauf hin, dass von Baldrian wie auch von anderen pflanzlichen Zubereitungen keine Ad-hoc-Wirkung zu erwarten ist. »Die adaptativen Prozesse bauen sich langsam innerhalb von zwei bis vier Wochen regelmäßiger Anwendung auf. Es verbessert eher die Schlafstruktur.« Dafür sind kein Hangover, keine Veränderung der Reaktionszeit oder sonstige Nebenwirkungen zu erwarten.

Fürst geht nicht davon aus, dass die leichten sedativen und anxiolytischen Effekte nur einer bestimmten Substanz oder -gruppe zuzuordnen sind. Auch die in vitro propagierten Wirkmechanismen isolierter Rezeptor-Interaktionen wie etwa dem GABAA-, dem Adenosin-A1- oder dem 5-HT5a-Rezeptor erscheinen dem Professor für Pharmazeutische Biologie »zu gestellt«. Bislang seien nur wirksamkeitsmitbestimmende Stoffe identifiziert. Die Valepotriate, denen man seit jeher zumindest eine Teilwirkung zutraut, könnten laut Fürst schon mal nicht für die Wirkung verantwortlich sein. »Sie sind extrem instabil und werden bei Lagerung abgebaut. In den fertigen Zubereitungen sind kaum mehr Valepotriate enthalten.« Umgekehrt verhält es sich mit der Isovaleriansäure. Diese entsteht erst bei der Trocknung und ist für den durchdringenden, typisch strengen Baldriangeruch verantwortlich.

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