Prävention am Arbeitsplatz |
Sowohl Büroangestellte als auch Menschen mit körperlich anstrengenden Berufen können unter Rückenschmerzen leiden. / Foto: Getty Images/Maria Fuchs
Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes haben 2016 knapp ein Viertel aller Arbeitsunfähigkeitstage in Deutschland verursacht. Menschen, die in körperlich anstrengenden Berufen arbeiten, haben dabei ein zweifach höheres Risiko für Rückenschmerzen als Büroangestellte. Denn typische Faktoren für das Entstehen von Rückenproblemen sind unter anderem das Heben und Tragen von Lasten.
Verschont bleiben die Büroangestellten aber nicht: Langes Sitzen in gezwungener Körperhaltung ist ebenso ein Risikofaktor für Rückenschmerzen. Dazu kommen häufig berufs- beziehungsweise arbeitsplatzspezifische psychische Faktoren, die wohl auch manche PTA kennt: etwa Unzufriedenheit, mentaler Stress und Zeitdruck.
Laut Dr. Falk Liebers, Facharzt für Arbeitsmedizin bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) in Berlin, ist die direkte Ursache von Rückenproblemen in einigen Fällen im Beruf zu finden. Bei anderen wiederum würde das Leiden zwar primär etwa durch mangelndes körperliches Training oder Übergewicht hervorgerufen, die berufliche Situation könne die Rückenprobleme dann verstärken.
Obwohl muskulo-skelettale Beschwerden seit Jahren zu den häufigsten Verursachern für Arbeitsunfähigkeit gehören, hat Liebers den Eindruck, dass sich in den vergangenen 20 Jahren ein Wandel im Gesundheits- und Arbeitswesens vollzogen hat. Inzwischen werde viel für die Rückengesundheit der Arbeitnehmer getan, sagt er. »Angebote und Hilfestellungen zur Prävention sind heute für Betriebe vielfältig verfügbar. Sie sollten aber stärker genutzt werden«, so Liebers im Gespräch mit PTA-Forum.
Es gibt auch Gesetze zu Arbeitsschutz und Prävention. Darin ist etwa die Ergonomie am Arbeitsplatz geregelt. Auch Krankenkassen und Berufsgenossenschaften unterstützen häufig Präventionsmaßnahmen. Rückenschulen, spezielle Kurse, die zum Beispiel von Krankenkassen oder Physiotherapeuten angeboten werden, seien sinnvoll, müssten aber zertifiziert sein, erklärt Liebers. Es sei wichtig, dass der Trainer individuell auf die Teilnehmer eingehe und Alter und Belastbarkeit während der Übungen berücksichtige.
»Der Mensch darf aktiv etwas für seine Rückengesundheit tun, und es darf anstrengend sein«, sagt Ulrich Kuhnt, Vorstand des Bundesverbandes deutscher Rückenschulen und Mitbegründer der neuen Rückenschule. Dieses Behandlungskonzept beinhaltet einen ganzheitlichen bio-psychosozialen Ansatz, der Menschen mit Rückenschmerzen zu regelmäßiger körperlicher Aktivität, dem Abbau psychischer Überbelastung und einer veränderten Einstellung zu ihren Schmerzen animiert. Veraltet ist die Empfehlung, sich bei Rückenschmerzen zu schonen, ebenso wie die Einteilung von falschen und richtigen Körperhaltungen. Bei Schmerzen sollte der Rücken sanft dynamisch weiter bewegt werden, wichtig ist ein Wechsel von Be- und Entlastung. Die Trainer leiten Teilnehmer von Rückenschulkursen so an, dass sie Gymnastik-Übungen selbstständig im Beruf und in der Freizeit ausführen können. Treten dennoch ab und an Rückenschmerzen auf, ist dies als Warnsignal zu verstehen.
»Die Ergonomie ist nur Helfer. Sie darf nicht isoliert stehen. Es braucht immer auch die richtige Verhaltens- und Denkweise der Menschen«, bekräftigt Kuhnt. Der Arbeitsplatz müsse sich dabei den individuellen Bedürfnissen des Menschen anpassen, nicht umgekehrt. Das gilt auch in der Apotheke. Es sollte zum Beispiel selbstverständlich sein, dass es in der Offizin nicht zieht und das Licht nicht zu grell ist. Apotheker und PTA sollten unbedingt auf die Qualität der Schuhe achten, die sie während des Arbeitstages tragen. Die Schuhe sollten eine gute Fersendämpfung haben und geschlossen, aber atmungsaktiv sein. Man sollte in ihnen gut stehen können und sich wohlfühlen. Bei schmerzenden Füßen können auch individuell angepasste orthopädische Einlagen helfen.
An Steharbeitsplätzen kann eine elastische Boden- beziehungsweise Fußmatte den Stand unterstützen. Auch wichtig: Damit man gut stehen kann, brauchen die Füße nach vorne Freiraum. Die Apothekenmitarbeiter sollten auch wechselnd Unterarme und das Becken abstützen können. Die Lendenwirbelsäule wird geschont, wenn das Bein wie beim Tresenstand hochgestellt werden kann.
Auch Arbeitnehmer, die viel stehen und gehen wie PTA und Apotheker, müssen in puncto Rückengesundheit einiges beachten. / Foto: Shutterstock/RossHele
Wichtig ist auch, sich regelmäßig an eine aufrechte Haltung zu erinnern und diese auch einzunehmen. Der aufrechte Stand – beckenbreit und mit entspannten Knien – entlastet Wirbelsäule und Rückenmuskulatur. Die Bauchdecke wird dabei automatisch gehalten, wenn man das Steiß- zum Schambein kippt. Das Brustbein strebt zur Decke. Die Schultern ziehen nach hinten unten. Der Nacken befindet sich in der Verlängerung der Wirbelsäule. Dabei loslassen, ruhig und entspannt in den Bauch atmen.
Werden Schubladen geöffnet, um Medikamente herauszunehmen, sollten PTA oder Apotheker beide Hände nutzen und möglichst nicht die Wirbelsäule verdrehen. Beim Bücken ist es wichtig, die Knie nicht über die Fußspitzen hinauszuschieben, sondern mit geradem Rücken nach unten zu gehen, wie bei der Skifahrerhocke. Die Kassenarbeitsplätze in der Apotheke sollten ergonomisch in unterschiedlichen Höhen platziert sein, um den verschiedenen Körpergrößen gerecht zu werden.
Dynamik am Arbeitsplatz ist wichtig: Es sollte keine Monotonie in den Bewegungsabläufen aufkommen. Arbeitsaufgaben sollten also, falls möglich, im Team verteilt werden und dabei rotieren. Stehzeit sollte mit Gehen und Sitzen ausgeglichen werden, das heißt, nach längerem Stehen sollte möglichst eine sitzende Tätigkeit folgen. Für Aufgaben am Schreibtisch sollte auch in der Apotheke ein ergonomischer Bürostuhl vorhanden sein. Im Sitzen sollte möglichst körpernah gearbeitet werden. Das heißt, Rezepte, die abgetippt werden müssen, sollten beispielsweise zentral vor der PTA liegen. Auch ein schräg angebrachter Vorlagenhalter kann eventuell helfen. Einseitige Drehbewegungen über längere Zeit sollten vermieden werden.
»Eine mehrstündige Zwangshaltung während der Arbeit kann nicht durch Sport am Abend ausgeglichen werden«, betont Kuhnt. Wann immer es daher in den Arbeitsrhythmus passt, sind Ausgleichsbewegungen angesagt. Empfehlenswert ist beispielsweise eine Wadendehnung, die Aktivierung der Venenpumpe durch Wippbewegungen mit den Füßen und Storchenschritte. Die PTA sollte auch ab und an die Schultern kreisen lassen, den Oberkörper hängen lassen und sich langsam Wirbel für Wirbel wieder aufrichten und die Arme nach hinten unten dehnen. Die Mittagspause kann genutzt werden, um Treppen zu steigen und/oder an der frischen Luft spazieren zu gehen. Vielleicht ist es auch möglich, mit dem Rad zur Arbeit zu fahren oder eine Station früher aus der Straßenbahn auszusteigen und ein Stück zu gehen.
Wer zur Arbeit radelt, hat bereits ein großes Plus auf dem Bewegungskonto. / Foto: Shutterstock/frantsev
»Mindestens genauso wichtig wie die körperliche ist die mentale Fitness«, betont Kuhnt. Wer mit einer motivierten positiven Grundeinstellung seine Arbeit in der Apotheke verrichtet, fördert ebenso sein Wohlbefinden und die Rückengesundheit. Allerdings ist das heute nicht immer einfach. Kuhnt, der als Verhaltenstrainer im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsvorsorge viele Unternehmen berät, merkt an: »Es ist beängstigend, wie hoch die Belastung vieler Arbeitnehmer ist; sie müssen zu 150 Prozent funktionieren, egal, ob es ihnen gerade gut geht oder nicht. Die Leistung ist dazu jederzeit digital auf Knopfdruck kontrollierbar.«
Der Arbeitgeber kann also unter anderem durch Empathie und Wertschätzung dazu beitragen, dass es dem Arbeitnehmer gut geht, er (rücken-)gesund bleibt und damit weniger Tage ausfällt. Viele Arbeitnehmer müssen aber auch lernen, behutsamer mit ihrer Gesundheit umzugehen. Dabei können etwa Achtsamkeitsübungen, die Konzentration auf den Atem oder Entspannungstechniken helfen. Yoga und Qigong stärken Geist und Körper.
Einfache Rückenübungen für den Arbeitsplatz finden Interessierte zum Beispiel im Video »Denk an mich. Dein Rücken – schnelles Rücken-SOS« der Unfallkasse Nordrhein-Westfalen auf Youtube.