Psychose durch Covid-19? |
Ähnliches ist bereits von MERS-CoV und SARS-CoV bekannt. In einer Metaanalyse haben Wissenschaftler vom University College London nun die Daten von 3559 Personen ausgewertet, die an einer bestätigten Infektion mit SARS-CoV, MERS-CoV oder SARS-CoV-2 erkrankt waren. Dabei zeigte sich, dass während der akuten Krankheitsphase in erster Linie Verwirrtheit, depressive Verstimmungen, Angstzustände, Gedächtnisstörungen und Schlaflosigkeit auftraten. In einer der ausgewerteten Studien berichteten die Autoren von steroid-induzierten Manien und Psychosen. Auffällig ist, dass Symptome wie depressive Verstimmungen, Schlaflosigkeit, Angstzustände, Reizbarkeit, Gedächtnisstörungen und Abgeschlagenheit auch in der Erholungsphase nach einer MERS- beziehungsweise SARS-CoV-Infektion bestehen blieben. Ein Jahr nach der Genesung waren bei vielen Patienten zudem Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen, Konzentrationsschwächen sowie Schwierigkeiten in der mentalen Verarbeitungsgeschwindigkeit feststellbar. Die Ursachen dafür sind unklar. Diskutiert werden verschiedene Faktoren wie direkte Auswirkungen der Virusbesiedlung, eine zerebrovaskuläre Erkrankung, der Grad der physiologischen Beeinträchtigung, immunologische Reaktionen, Traumatisierung durch die Behandlung, soziale Isolation, Angst vor Stigmatisierung und Befürchtungen, das Virus weitergeben zu können.
Dass nach Pandemien gehäuft Psychosen auftreten können, zeigen auch die Aufzeichnungen der letzten großen Grippepandemien. So wurde nach der Spanischen Grippe von 1918/20 ein deutlicher Anstieg einer rätselhaften Erkrankung beobachtet, die der Psychiater und Neurologe Constantin von Economo als Encephalitis lethargica bezeichnete. Umgangssprachlich wurde von der Europäischen Schlafkrankheit gesprochen, die unter anderem durch unkontrollierbare Schlafanfälle und parkinsonartige Symptome auffiel. Im schlimmsten Fall fielen Betroffene in einen komaähnlichen Zustand, aus dem sie nicht mehr erwachten.
Psychiater gehen davon aus, dass auch die Covid-19-Pandemie noch zu einem deutlichen Anstieg an psychischen Erkrankungen führen wird. So wurden in den letzten Wochen bereits Fallberichte veröffentlicht, in denen von Patienten mit ursprünglich milden Covid-19-Verläufen berichtet wurde, die zeitverzögert einen Rückfall mit schwerer Symptomatik und Folgeschäden erlebt haben. Die Auslöser dafür sind zum derzeitigen Zeitpunkt noch unbekannt. Experten vermuten jedoch eine dauerhafte Schädigung des Nervensystems oder des Gehirns. Auch die veränderten Lebensbedingungen können sich negativ auf die psychische Gesundheit auswirken. Jobverlust, Angst vor einer Infektion, Einsamkeit und Isolation sind Stressoren, die viele Menschen nur schwer verarbeiten können und die Ängste, Zwänge, Depressionen und Psychosen begünstigen.
Besonders gefährdet sind Personen mit einem Risiko für psychische Erkrankungen oder bereits Erkrankte. Psychische Auswirkungen müssen nicht immer sofort auftreten. Manchmal zeigen sich die Symptome erst, wenn die Krise bereits am Abklingen oder ganz vorbei ist. Dieses Phänomen tritt besonders oft bei Menschen auf, die im medizinischen Bereich arbeiten und erst nach der Akutphase die Ruhe finden, das Erlebte zu reflektieren. Im Fall von Covid-19 könnten dieses Mal jedoch auch Risikopatienten und ihre Angehörigen davon betroffen sein.
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.