Raue Zeiten für Rotkehlchen |
Trotz roter Kehle kann der gefiederte Piepmatz hübsch singen. Anders sieht das bei Halsschmerzen bei Kind und Erwachsenen aus. / Foto: Getty Images/Sandra Standbridge
Die Halsschmerz-Leitlinie der DEGAM (Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin) richtet sich zwar in erster Linie an Hausärzte, doch auch das pharmazeutische Personal kann sich für eine kompetente Beratung an dem medizinischen Leitfaden orientieren. Hier gilt es, zunächst die sogenannten »Red Flags« zu erkennen, also Warnzeichen, bei der von einer reinen Selbstmedikation abgesehen und an den Arzt verwiesen werden soll.
Die Leitlinienautoren haben ein Fließschema für Patienten ab einem Alter von drei Jahren entwickelt, nach dem bestenfalls vorzugehen ist. In der Hausarztpraxis wird als erstes auf krankhafte Atemgeräusche abgehört (Stridor) sowie auf eine Blaufärbung der Haut (Zyanose) geachtet. Der Arzt schließt zudem aus, dass eine schwere systemische Erkrankung wie Meningitis, ein Schub einer Autoimmunerkrankung oder ein Abszess der Mandeln vorliegt. Dauern die Halsschmerzen bereits länger als 14 Tage an, spricht man von chronischen Halsschmerzen und es sind nicht-infektiöse Ursachen wie Rauchen, Reflux oder eine Speiseröhrenentzündung zu bedenken.
Bei akuten Halsschmerzen nennt die Leitlinie acht Red Flags: Scharlach-Exanthem, Pfeiffersches Drüsenfieber, Infektion mit anderem Fokus (Pneumonie, Bronchitis, Otitis, Sinusitis), Immunsuppression, Chemotherapie, orale Glucocorticoid-Therapie, schwere Komorbiditäten und ein erhöhtes Risiko für akutes rheumatisches Fieber. Liegen diese nicht vor, erfolgt eine Beratung darüber, dass Halsschmerzen in der Regel einen selbstlimitierenden Verlauf haben und die Beschwerden nicht länger als eine Woche anhalten. Grundsätzlich können körperliche Schonung; Vermeidung von Tabakkonsum (auch passiv!) sowie das Feuchthalten der Schleimhäute etwa durch eine angemessene Flüssigkeitszufuhr und eine ausreichende Luftfeuchtigkeit innerhalb geschlossener Räume empfohlen werden. Bei beginnender Heiserkeit die Stimme soweit wie möglich schonen. Auf keinen Fall flüstern, denn das strapaziert zusätzlich.
Die Leitlinienautoren halten dazu an, bei akuten Beschwerden auf ein Antibiotikum zu verzichten. Als rationalen Ansatz sehen sie vielmehr die symptomatische Therapie mit antientzündlichen Wirkstoffen. Das sind entweder Lutschtabletten mit Lokalanästhetika wie Benzocain (wie Dolo-Dobendan®, Anaesthesin Pastillen) oder Ambroxol (wie Mucoangin® Lutschtabletten) sowie mit nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR) oder bei starken Schmerzen orale NSAR. Bei Letzteren wird die Leitlinie sehr konkret und nennt explizit Ibuprofen und Naproxen, auch aufgrund ihres günstigen Risikoprofils. Bei den Lokalanästhetika und NSAR zum Lutschen macht sie dagegen keine genaueren Angaben. Bei den Lokaltherapeutika ist jedoch laut Leitlinie nur ein moderater Effekt zu erwarten.
Eigens genannt unter den NSAR für die lokale Anwendung wird Flurbiprofen, das derzeit einzige NSAR, das in Deutschland für die topische Anwendung bei Halsschmerzen zugelassen ist (wie in Dobendan® Direkt). Es ist in Form von Lutschtabletten ab einem Alter von zwölf Jahren oder als Spray ab 18 Jahren erhältlich. Beide werden alle drei bis sechs Stunden angewendet, jedoch maximal fünfmal am Tag. Der Wirkstoff dringt gut in die Mukosa ein und wirkt relativ schnell analgetisch und entzündungshemmend bis zu sechs Stunden, jedoch nur in geringem Maße systemisch.
Es gibt auch eine klare Empfehlung gegen alle Arten von Rachentherapeutika – also Lutschtabletten, Gurgellösungen, Rachensprays – mit Lokalantiseptika und/oder Antibiotika. Abgesehen von der mangelnden Evidenz sei die Anwendung dieser Mittel bei einer mehrheitlich viral bedingten Infektion nicht nachvollziehbar und nicht sinnvoll. »Lokalantiseptika sind konzentrationsabhängig zytotoxisch und wirken nur an der Oberfläche, während sich die wesentliche Infektion in der Tiefe des Gewebes abspielt«, heißt es in der Leitlinie.
Antibiotika sind in der Regel vermeidbar – schon deshalb, weil 50 bis 80 Prozent der akuten Halsschmerzen in allen Altersgruppen viraler Natur sind. Derzeit müsse auch an SARS-CoV-2 gedacht werden, heißt es in der Leitlinie, auch wenn Halsschmerzen nicht als Kardinalsymptom von Covid-19 gelten. Doch schon vor der Pandemie waren Coronaviren für mindestens 5 Prozent akuter Halsentzündungen verantwortlich. Bakteriell bedingte Halsschmerzen sind seltener: 10 bis 30 Prozent werden durch ß-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A hervorgerufen («Streptokokken-Angina«), bis zu 10 Prozent bei Erwachsenen durch C- und D-Streptokokken.
Das ist das Neue an der Leitlinie: Man verzichtet bewusst auf eine antibiotische Therapie, selbst ein klinischer Verdacht auf eine bakterielle Gaumenmandelinfektion ist keine generelle Indikation für Antibiotika. Die Leitlinie setzt hier auf eine ausführliche Aufklärung. Der Arzt muss unter der Berücksichtigung der Therapieerwartungen des Patienten zusammen mit diesem abwägen, ob eine Antibiotika-Behandlung indiziert ist. Darüber hinaus sollten Arzt und Apotheker den Patienten aufklären, dass eine antibiotische Therapie bei Pharyngitis die Symptomdauer im Schnitt nur um 16 Stunden zu verkürzen mag.
Auch neu: das Verordnungsprinzip des »delayed prescribing«. In der Regel ist mit dieser verzögerten Verschreibung gemeint, dass der Patient zwar ein Rezept bereits bei der Erstkonsultation bekommt, dieses aber nur unter bestimmten Voraussetzungen einlösen soll, zum Beispiel wenn sich die Symptome verschlechtern oder nach einem bestimmten Zeitraum immer noch nicht verschwunden sind. Zum Teil kann der Patient dies selbst entscheiden, zum Teil soll er nach einer Frist telefonische Rücksprache mit dem Arzt halten. Nötig sind hierfür eine gute Aufklärung und die gemeinsame Entscheidungsfindung. Zudem verkürzen die Leitlinienautoren die Dauer einer Antibiotikatherapie auf fünf bis sieben Tage. Penicillin V bleibt Mittel der Wahl.
Präparate mit Schleimstoff-haltigen Drogen wie Eibisch (wie Phytohustil®), Primelwurzel (wie Ipalat® Halspastillen) oder Isländisch Moos (wie Isla Moos®) befeuchten die Schleimhäute, indem sie den Speichelfluss anregen und mucilaginös wirken. Die in den Schleimstoffen enthaltenen Polysaccharide bilden mit dem Speichel eine Art Schutzfilm, der sich über die Schleimhaut legt. Entzündete Epithelzellen werden so vor weiteren Reizen geschützt. Eine befeuchtende Wirkung versprechen auch Halstabletten mit Hyaluronsäure (wie Isla® med akut, GeloRevoice®).
Relativ neu in Präparaten gegen Erkältung zu finden ist Ectoin, eine Substanz, die aus Mikroorganismen gewonnen wird, die in extremen Umgebungen wie in Geysiren oder Salzseen leben. Ectoin schützt die Bakterien vor den dort herrschenden extremen Umweltbedingungen. In der Medizin macht man sich seine schleimhautstärkende Funktion zunutze. Es stabilisiert auf physikalischem Wege die Zellmembranen, indem es einen Hydro-Komplex bildet und so die Zellstrukturen vor weiteren Virenattacken schützt (Osmoregulation). In Kombination mit Eibischwurzel-Trockenextrakt und Honig (Naturalis® Mund- und Rachenspray) schützt es das Epithel. Die so mögliche Rehydratisierung und die Abschirmung der peripheren Sensorikrezeptoren führen zu einer signifikanten Symptomlinderung bei einer vorliegenden akuten Pharyngitis und bei trockenem Reizhusten.
Das Spray ermöglicht eine zielgenaue Symptombehandlung im Rachen. »Ein Spray benetzt die betroffenen Schleimhäute unmittelbar bei der Anwendung und verteilt die Inhaltsstoffe nicht erst langsam wie nach dem Auflösen der Lutschpastillen. Der fein verteilte Nebel erreicht leicht das Gewebe im hinteren Rachen«, sagte Professor Dr. Ralph Mösges, HNO-Arzt aus Köln, bei dem Produktlaunch.
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.