Reisediarrhö – lästig und manchmal gefährlich |
Brigitte M. Gensthaler |
19.04.2021 08:30 Uhr |
Es wird noch ein wenig dauern, bis Reisen wieder uneingeschränkt möglich sein wird. Damit die Freude dann möglichst nicht durch eine Reisediarrhö getrübt wird, ist das Wissen um eine adäquate Therapie wichtig. / Foto: Fotolia/Nieuwland
Reisedurchfall kennt fast jeder, der schon einmal Urlaub in fremden Ländern gemacht hat. Tritt bald nach Ankunft im Reiseland Durchfall auf, zeigt dies den engen Kontakt mit dem fremden Keimspektrum an. »Am häufigsten sind akute wässrig-breiige Durchfälle, die durch Escherichia-coli-Stämme und andere bakterielle und virale Erreger ausgelöst werden«, informierte Professor Dr. Thomas Weinke, Ärztlicher Direktor am Klinikum Ernst von Bergmann, Potsdam, beim Online-Fortbildungskongress der Bayerischen Landesapothekerkammer.
Eine akute Gastroenteritis (Magen-Darm-Entzündung) mit Leitsymptom Erbrechen gehe meist auf das Konto von Rotaviren oder Staphylococcus-aureus-Toxinen. Bei blutiger oder anhaltender Diarrhö müsse man auch an parasitäre Erreger denken, zum Beispiel an eine Malaria.
Die Möglichkeiten der medikamentösen Prophylaxe sind sehr begrenzt: Für Probiotika, Heilerde und Homöopathika ist laut Weinke keine Evidenz nachgewiesen. »Eine Antibiotika-Prophylaxe hat für mich keinen Stellenwert und bei einer Impfprophylaxe muss man sich fragen: wogegen eigentlich?« Eine Cholera-Impfung sei im Einzelfall für besonders gefährdete Personen möglich. Da die Toxine von enterotoxischen E.-coli-Stämmen (ETEC) den Cholera-Toxinen strukturell ähneln, kommt es bei der Cholera-Impfung zu Kreuzreaktionen und damit zu einem gewissen Schutz vor ETEC-Toxinen.
Die meisten Reisenden sorgen vor und wollen den Durchfall selbst behandeln. In der symptomatischen und supportiven Therapie steht die orale Rehydratation nach wie vor an oberster Stelle. Da es keine Evidenz für Tannin, medizinische Kohle, Kaolin und Pektin gebe, solle man diese nicht empfehlen, riet Weinke.
Bei milder Diarrhö (zwei- bis dreimal täglich Stuhlgang, keine schwere Beeinträchtigung) könne der Patient den Motilitätshemmer Loperamid oder den Sekretionshemmer Racecadotril einnehmen. Mangels direkter Vergleichsstudien sei unklar, welcher Patient von welchem Wirkstoff besser profitiert. Bei moderaten Formen (Durchfall störend, belastend, Patient aber nicht bettlägerig) hätten beide Medikamente einen höheren Stellenwert, auch in der Selbstmedikation. Bei schwerer Diarrhö (Patient bettlägerig, häufiger Stuhlgang) müssten nach Arztrücksprache gegebenenfalls Antibiotika eingesetzt werden.
Dringend erforderlich ist der Arztbesuch, wenn der Durchfall länger als drei bis fünf Tage anhält sowie bei blutigem Stuhl, Kreislaufschwäche, Abgeschlagenheit und kolikartigen Krämpfen. Auch Kinder, ältere und immunsupprimierte Menschen mit Durchfall müssten zum Arzt.
Kritisch äußerte sich Weinke zur Antibiotika-Selbsttherapie. Chinolone sind seit April 2019 nicht mehr zur Prävention von Durchfall sowie bei leichten und mittelschweren Infektionen indiziert. »Ciprofloxacin sollte bei Reisediarrhö nicht mehr eingesetzt werden«, mahnte Weinke.
Seit Ende 2019 steht Rifamycin in einem Präparat mit veränderter Wirkstofffreisetzung zur Behandlung der Reisediarrhö zur Verfügung (Relafalk®, Dr. Falk Pharma). Das Antibiotikum wird im terminalen Dünndarm freigesetzt und wirkt im Kolon. In einer Studie war das kaum resorbierbare Breitspektrum-Antibiotikum ebenso wirksam wie Ciprofloxacin, aber es traten weniger multiresistente Keime auf. Die empfohlene Tagesdosis für Erwachsene beträgt zwei Tabletten morgens und zwei abends (Gesamttagesdosis 800 mg Rifamycin-Natrium) über drei Tage. Für Kinder ist das verschreibungspflichtige Medikament nicht zugelassen.
Hält der Durchfall nach der Heimkehr an, ist eine tiefergehende Diagnostik nötig, bei der auch nach Parasiten und Malaria gefahndet wird, betonte der Infektiologe. Werden Bakterien als Auslöser gefunden, sollten Antibiotika nach dem mikrobiologischen Befund gezielt eingesetzt werden. Bei nicht invasiven bakteriellen Erregern kommen die nicht resorbierbaren Antibiotika Rifamycin und Rifaximin zum Zuge, bei invasiven Bakterien Azithromycin. Der Einsatz von Chinolonen sei nicht mehr gerechtfertigt.