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Hoher Leidensdruck

Reizdarm – Stress in Dauerschleife

Veränderte Signale

In Studien ließ sich nachweisen, dass die Dichte von bestimmten Nervenfasern im Darm von Reizdarm-Betroffenen erhöht ist. Das könnte erklären, dass Betroffene empfindlicher auf Dehnungsreize der Darmwand reagieren. In Testreihen spürten sie einen geblähten Ballon im Enddarm früher als Gesunde und empfanden ihn bereits bei geringerer Füllung als schmerzhaft. Blähungen oder ein vermehrter Darminhalt verursachen bei ihnen also schneller Schmerzen. Auch bei der Signalverarbeitung im Gehirn fanden sich Unterschiede zwischen gesunden und Reizdarm-Probanden. Mehrere Studien belegen zudem, dass beim RDS häufig der leistungssteigernde Sympathikusnerv übererregbar ist, während der Parasympathikus als »Ruhenerv« weniger stark aktiviert wird.

Ein weiterer Mosaikstein der Krankheitsentstehung ist die veränderte Darmbewegung, Motilität genannt. Bei Patienten mit häufigem Durchfall ist die Darmmotilität in der Regel erhöht, was zu einer beschleunigten Darmpassage führt. Im Gegensatz dazu findet sich beim Reizdarm vom Obstipations-Typ eine Verlangsamung. Eine zu schnelle Beförderung des Darminhalts ist darüber hinaus häufig mit einer erhöhten Gallensäureausscheidung verbunden. Auch der Stuhl von Betroffenen unterscheidet sich von Darmgesunden: So lassen sich beispielsweise veränderte Konzentrationen an kurzkettigen Fettsäuren nachweisen. Vor allem das Verhältnis von Propionsäure und Buttersäure wies in Studien bei Patienten ein typisches Muster auf.

Bedeutung Mikrobiom

Deutliche Unterschiede zeigten sich außerdem in der Zusammensetzung der Darmflora. Im Vergleich zu gesunden Menschen fanden sich in einigen Studien bei RDS-Patienten mehr Proteo- und Firmicutes-Bakterien. Die Zahl an Acinetobacter, Bacteroides und Bifidobakterien war dagegen verringert. Dabei schien der Artenreichtum des Darmmikrobioms auch mit dem Schweregrad der Erkrankung zusammenzuhängen. Von einer mikrobiellen Analytik des Darmmikrobioms zu diagnostischen oder therapeutischen Zwecken rät das Leitlinienteam allerdings ab. Ob eine Dysbiose von kausaler Bedeutung für die Krankheitsentstehung ist, konnten Wissenschaftler bisher nicht eindeutig klären.

Relativ sicher ist dagegen, dass genetische Faktoren eine gewisse Rolle spielen. Einig sind sich die Experten des Leitliniengremiums auch, dass der Reizdarm durch eine Darmentzündung ausgelöst werden kann: Oft kommt es nach einer überstandenen bakteriellen oder viralen Infektion des Verdauungstrakts oder nach einer nicht infektiösen Erkrankung wie Morbus Crohn zu einer langanhaltenden Reizdarmsymptomatik. Eine vorangegangene Antibiotikatherapie begünstigt die Erkrankung offensichtlich ebenfalls.

Auch Patienten mit einer akuten oder früheren Essstörung entwickeln oft einen Reizdarm. Auffällig ist zudem die häufige Vergesellschaftung mit sogenannten somatoformen Störungen – also körperlichen Symptomen, die sich nicht auf eine organische Erkrankung zurückführen lassen. Dazu gehören beispielsweise das chronische Erschöpfungssyndrom, der Reizmagen (funktionelle Dyspepsie) und die Fibromyalgie. Auch psychische Erkrankungen begleiten nicht selten ein Reizdarmsyndrom – in erster Linie Angsterkrankungen und Depressionen. Sie können sowohl in Folge der belastenden Beschwerden auftreten als auch eine Rolle bei deren Manifestierung spielen.

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