Schlechte Mundhygiene ist Risikofaktor für schweren Verlauf |
Noch gravierender als die Schäden, die eine Parodontitis lokal anrichtet, können die systemischen sein, wie Singhrao und Harding ausführen: Infolge der Dysbiose könnten Bakterien aus dem Mund in die Blutbahn gelangen und von dort in diverse Organe. Die Folge sei eine chronische Entzündung. Betroffen sein könne etwa das Herz, zudem könnten der Blutdruck und der Blutzucker steigen. Schlechte Mundhygiene sei darüber hinaus in verschiedenen Studien mit Frühgeburten, Arthritis, Nieren- und Atemwegserkrankungen sowie neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer in Verbindung gebracht worden.
Das Ergebnis einer Studie aus Ägypten deutete im Februar 2021 darauf hin, dass es auch bei Covid-19 das erhöhte Entzündungslevel ist, das sich bei Patienten mit schlechter Mundhygiene nachteilig auswirkt. Im Fachjournal »British Dental Journal« berichtete ein Team um Amany Hany Mohamed Kamel von der Universität Kairo von einem signifikanten Zusammenhang zwischen schlechter Mundhygiene, erhöhten Blutwerten des Entzündungsmarkers C-reaktives Protein (CRP) und einem schweren Covid-19-Verlauf (DOI: 10.1038/s41415-021-2656-1). Wenn infolge schlechter Mundhygiene bereits eine Entzündung im Körper schwele, sei es wahrscheinlicher, dass dieser auf eine SARS-CoV-2-Infektion überreagiere und es zu einem Zytokinsturm komme, so die Überlegung der Autoren.
Das leuchtet ein, ist aber noch nicht eindeutig belegt und auch nicht die einzige denkbare Erklärung für den vermuteten Zusammenhang. Möglich sei auch, dass bakterielle Superinfektionen erheblich zu dem erhöhten Risiko beitrügen, so Singhrao und Harding. Solche Infektionen sind laut einer Metaanalyse aus dem Mai 2021 häufig. Das Autorenteam um Dr. Jackson Musuuza von der University of Wisconsin berichtet im Fachjournal »PLOS one«, dass jeder vierte Covid-19-Patient (24 Prozent) eine Superinfektion aufweist (DOI: 10.1371/journal.pone.0251170). Bei Intensivpatienten war der Anteil mit 41 Prozent noch deutlich höher, wobei die Superinfektionen ganz überwiegend bakterieller Genese waren.
Die Erreger aus dem Mund könnten die Lunge als Ort der SARS-CoV-2-Infektion dabei entweder über das Blut erreichen oder aber eingeatmet werden. Darauf wies im Juni 2020 ein Team um die Londoner Zahnärztin Dr. Victoria Sampson im »British Dental Journal« hin (DOI: 10.1038/s41415-020-1747-8). Gleichzeitig könnten Enzyme der Bakterien aus der Mundhöhle das Epithel der Atemwege so verändern, dass sich respiratorische Erreger wie das Coronavirus leichter anheften können.
Derzeit lasse sich noch nicht beurteilen, ob einer dieser Mechanismen oder womöglich auch alle gleichzeitig bei Covid-19 eine Rolle spielten, so Singhrao und Harding. Die Evidenz reiche aus ihrer Sicht aber aus, um eine schlechte Mundhygiene als Risikofaktor für einen schweren Verlauf zu etablieren. Während der Pandemie sei es daher wichtiger denn je, seine Zähne gut zu pflegen. Hierzu gehört es, mindestens zweimal am Tag mit einer fluoridhaltigen Zahnpasta die Zähne zu putzen und regelmäßig zum Zahnarzt zu gehen.
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.