Schwere Folgen von Virusinfektionen |
Ein schwerer Verlauf einer Virusinfektion kann das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall deutlich steigern. / Foto: Your Photo Today
Täglich nehmen die Erkenntnisse zum neuen Coronavirus SARS-CoV-2 zu. Mittlerweile weiß man, dass die Viren auch das Herz-Kreislauf-System in Mitleidenschaft ziehen. Züricher Mediziner fanden heraus, dass SARS-CoV-2 die Gefäße befällt und dort das Endothel schädigt. Das Endothel ist eine Zellschicht, die die Blutgefäße von innen auskleidet und verschiedene Funktionen hat. Unter anderen steuert es die Mikrozirkulation, also den Blutstrom in den kleinsten Blutgefäßen.
SARS-CoV-2 dringt vermutlich über die im Endothel vorkommenden ACE2-Rezeptoren in die Zellen ein und kann dort Entzündungen auslösen. Im weiteren Verlauf sterben Endothelzellen ab. Das gefährliche: »Da das Endothel im gesamten Körper in verschiedenen Organen vorhanden ist, sind auch die Entzündungen generalisiert«, erklärt Professor Dr. Thomas Meinertz, Kardiologe und Pharmakologe aus Hamburg, im Gespräch mit dem PTA-Forum. Eine solche Entzündung des gesamten Endothels bezeichnen Mediziner als Endotheliitis. Bei den betroffenen Patienten ist die Mikrozirkulation gestört. Das kann Schäden am Herz, Gefäßverschlüsse im Hirn bis hin zu einem Multiorganversagen verursachen. Besonders gefährdet von den Komplikationen sind Menschen mit Bluthochdruck, Diabetes, Herzinsuffizienz oder koronarer Herzkrankheit. Bei ihnen ist das Endothel bereits vorgeschädigt. Seine schützende Funktion nimmt im Laufe der Erkrankung weiter ab.
In der Praxis beobachten Ärzte bei Covid-19-Patienten auch immer wieder, dass deren Blutgerinnung stark aktiviert ist und einige Gerinnungsfaktoren, etwa der Gerinnungsfaktor VIII, über den vielfachen Normalwert ansteigen. Auch hier könnte die Ursache sein, dass SARS-CoV-2 in den Endothelzellen Abwehr- und Entzündungsreaktionen hervorruft, was die Produktion von Blutgerinnungsfaktoren stark anheizen könnte. Thrombosen und Lungenembolien können die Folge sein – ein häufiger Befund bei obduzierten Covid-Toten (DOI: 10.1056/NEJMoa2015432). Ähnliche Beobachtungen, wenn auch nicht so massiv, sind von anderen Infektionskrankheiten, etwa der Influenza, bekannt. Einige Ärzte erwägen, Covid-19-Patienten vorbeugend Heparin in hohen Dosen zu applizieren. Diese Therapie erweist sich aber nicht immer als wirksam.
Ebenfalls ein Problem bei Covid-19 und eine weitere mögliche Ursache für die aktivierte Blutgerinnung sind überschießenden Reaktionen des Immunsystems. Das Abwehrsystem schützt den Körper normalerweise vor Angriffen von außen. Entgleist jedoch das Immunsystem, kann das tödlich enden. Eine wichtige Rolle dabei spielen Zytokine. Dabei handelt es sich um körpereigene Stoffe, die bei Entzündungen eine Schlüsselrolle spielen. Bestimmte Auslöser wie SARS-CoV-2 können die zytokinbildenden Leukozyten extrem aktivieren, so dass ein sogenannter Zytokinsturm entsteht. Auch wenn das auslösende Antigen nicht mehr vorhanden ist, stellen die übermäßig aktivierten Leukozyten weiter Zytokine her. Starke Entzündungsreaktionen entwickeln sich im ganzen Körper und an den Gefäßinnenseiten. Die Gefäßwände werden durchlässig, und es gelangt Flüssigkeit ins Gewebe.
Zudem werden verstärkt Gerinnungsfaktoren gebildet. Schädigungen von Geweben und Organen sowie deren Funktionsverlust können folgen. Arzneistoffe, die wie der IL-6-Rezeptorantagonist Tocilizumab gegen den Zytokinsturm gerichtet sind, diskutieren Ärzte als eine mögliche Therapieoption bei Covid-19. Ähnliche Zytokinstürme sind auch beim Ebolafieber, beim Marburg-Virus und bei der Influenza bekannt. »Bei Ebola leiden die Patienten jedoch im Gegensatz zu Covid-19 an einer erhöhten Blutungsneigung«, sagt der Experte. Warum es zu diesen gegensätzlichen Reaktionen komme, sei unbekannt.
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.