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Wenn es schwankt

Seekrankheit vorbeugen und behandeln

Es schwankt und schaukelt, ein komisches Gefühl macht sich in der Magengrube breit – eine Schifffahrt kann uns ganz schön auf die Probe stellen. Was man tun kann, um der Seekrankheit vorzubeugen, erklärte ein Reisemediziner auf einer Pressekonferenz des CRM Centrum für Reisemedizin.
Juliane Brüggen
14.03.2023  14:00 Uhr

Wer seekrank wird, befindet sich in guter Gesellschaft. »Die Seekrankheit betrifft sicher 90 Prozent aller Menschen in irgendeiner Form«, berichtete Dr. Jens Kohfahl, Facharzt für Reisemedizin. Selbst erfahrene Seeleute blieben nicht verschont, wenn auch meist nur in Extremsituationen.

Warum die Seekrankheit entsteht, ist mittlerweile gut untersucht. Die anerkannte Hypothese lautet »intersensorischer Konflikt«, wie der Reisemediziner ausführte. An Land gibt es einen solchen Konflikt selten. Unser Gehirn ist schließlich an die Bewegung auf dem Boden gewohnt und nutzt die erlernten Informationen als Referenz – was auf der See zum Problem werden kann. Denn ein Schiff bewegt sich – anders als der starre Boden – entlang mehrerer Achsen: einer Längsachse, einer Querachse und einer vertikalen Achse. Noch komplizierter wird es, wenn Seegang und Wind bei laufender Fahrt hinzukommen. »Besonders stark wirkt die Auf- und Abwärtsbewegung des Schiffsrumpfes – das so genannte Stampfen – in Verbindung mit einer rollenden Bewegung um die Längsachse des Schiffes auf die Gleichgewichtsorgane«, so Kohfahl. Kein Wunder also, dass das Gehirn überfordert ist, wenn die Sinneseindrücke von Augen und Gleichgewichtsorgan plötzlich nicht mehr zusammenpassen, Gelenke und Muskulatur anders arbeiten als üblich und auch im Bauchraum neue Empfindungen zu verzeichnen sind.

Typische Symptome der Seekrankheit sind Müdigkeit, Antriebslosigkeit, Blässe, Völlegefühl und Schweißausbrüche bis hin zu Übelkeit und Erbrechen. Hierbei spielt Histamin – ein Botenstoff im Gehirnstoffwechsel – eine tragende Rolle, wie der Reisemediziner erklärte, aber auch andere Stoffe wie Serotonin, Glutamin und Acetylcholin. Nicht bei jedem Menschen treten alle Symptome auf und auch die Stärke der Symptome variiert. Meist gehen die Beschwerden nach 24 Stunden zurück, ein Gewöhnungseffekt tritt ein.

Was man vorbeugend tun kann

Kohfahl stellte einfache nicht medikamentöse Maßnahmen vor, die einer Kinetose an Bord eines Schiffes vorbeugen können:

  • Beidseitig Akupressurbänder anlegen (Innenseite des Unterarms nahe des Handgelenks)
  • Brille mit künstlichem Horizont aufsetzen
  • Vitamin C, vorzugsweise als Kautablette , oder Ingwer einnehmen
  • Kohlenhydrathaltige, aber nicht zu voluminöse Mahlzeiten einnehmen
  • Histaminhaltige Produkte meiden (zum Beispiel Salami, Hartkäse, Sauerkraut, Tomaten, Spinat, Rotwein)
  • Produkte meiden, die den Histaminspiegel erhöhen können (zum Beispiel Schokolade, Knabbergebäck, Walnüsse, Bananen, Kaffee, schwarzer oder grüner Tee)

Zu den präventiv wirksamen Arzneistoffen gehören Dimenhydrinat, Cinnarizin, Scopolamin und Promethazin. »Allerdings sind auch sie nicht zu 100 Prozent wirksam und können mit relevanten Nebenwirkungen wie Müdigkeit und verlängerten Reaktionszeiten einhergehen«, so der Cuxhavener Reisemediziner. Problematisch ist das bei älteren Menschen ab 65 Jahren – sie sind stärker von sedierenden und anticholinergen Effekten betroffen. Dementsprechend stehen die üblichen Wirkstoffe allesamt auf der Priscus-Liste, die potenziell inadäquate Medikation für ältere Menschen auflistet. Auch für Schiffspersonal in verantwortlicher Funktion oder Einsatzkräfte sind die Präparate aufgrund der Nebenwirkungen nicht geeignet. Als Alternative nannte Kohfahl die Setrone. Hier zeige die Studienlage jedoch in der Prävention keine bessere Wirksamkeit als Placebo. Ondensetron habe sich dennoch in der Notfallmedizin bewährt.

Was man bei ersten Anzeichen tun kann

Wenn sich die ersten Symptome ankündigen, kann es laut Kohfahl helfen, sich mit etwas zu beschäftigen und abzulenken, spezielle Atemtechniken anzuwenden, die Bewegungen des Schiffes aktiv auszubalancieren oder einen ruhigen Ort auf dem Schiff aufzusuchen. Günstig ist die Schiffsmitte in geringer Höhe über der Wasseroberfläche, am besten an der frischen Luft. Ebenfalls hilfreich: Den Horizont fixieren, dabei jedoch das schaukelnde Schiff im Augenwinkel halten. Ansonsten bleibt noch, sich in Rückenlage und mit geschlossenen Augen hinzulegen.

Was man bei starken Symptomen tun kann

Grundsätzlich eignen sich die präventiv eingesetzten Medikamente auch zur Therapie der Seekrankheit. Anhaltendes Erbrechen erschwere jedoch die Aufnahme von Wirkstoffen über den Magen-Darm-Trakt, erklärte der Reisemediziner. Hier seien Zäpfchen oder Pflaster zu bevorzugen. Außerdem komme es schnell zu Flüssigkeits- und Mineralstoffverlust. Bessern sich die Symptome nicht nach 24 Stunden, kann eine intensivere medizinische Therapie erforderlich werden, zum Beispiel mit Infusionen. In der Notfallmedizin werden Kohfahl zufolge Setrone gegen das Erbrechen eingesetzt, zum Beispiel Ondansetron Schmelztabletten. Helfen könne außerdem, an einem mit Alkohol getränkten Tupfer zu riechen. Dazu kann man Desinfektionsmittel wie Isopropylalkohol verwenden.

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