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Gehirn lebenslang fordern

So funktioniert Lernen

Lernen ist ein Prozess, in dem Menschen sich Fertigkeiten, Wissen und Gewohnheiten aneignen. Dieser ist nicht nur auf fachliche Kenntnisse begrenzt, sondern auch im täglichen Leben lernen wir ständig Neues dazu. Es ist eine wichtige Kompetenz, die Menschen in allen Lebensbereichen brauchen.
Tatiana Dikta
20.07.2020  12:30 Uhr

Der Ort des Lernens und des Abspeicherns von Informationen ist das Gehirn: Hier werden rund um die Uhr – auch nachts – Informationen verarbeitet, gefestigt und geordnet. Das Gehirn besteht aus vielen Milliarden Nervenzellen (Neuronen), die über so genannte Synapsen miteinander verbunden sind. Synapsen sind die wichtigsten Voraussetzungen für das Lernen. Je mehr gebildet und je häufiger sie aktiviert werden, desto besser und schneller funktioniert das Lernen. Die Aktivierung der Synapsen ist so zusagen Lerntraining für das Gehirn. Fehlt das Training, können sich Synapsen – ähnlich wie Muskeln – zurückbilden.

Das Gedächtnis stellt die Gesamtheit des Gelernten dar. Jedoch ist es kein fester Ort im Gehirn, sondern eher ein Vorgang beziehungsweise System. Es ist die Fähigkeit, die über das Nervensystem aufgenommenen Informationen umzuwandeln, zu speichern und wieder abzurufen. Neurowissenschaftler unterteilen das Gedächtnis unter anderem in Arbeits- und Langzeitgedächtnis.

Enges Zusammenspiel

Ankommende Informationen werden zunächst einmal in das Arbeitsgedächtnis aufgenommen, selektiert und nach ihrer Relevanz vorsortiert. Das Arbeitsgedächtnis stellt somit eine Art Filter dar. Seine Kapazität ist jedoch zeitlich und im Umfang begrenzt: Fünf bis maximal neun Informationseinheiten können auf einmal gleichzeitig verarbeitet werden.

Der Prozess des Lernens wird auch als Veränderung im Langzeitgedächtnis definiert. Dieses ist so etwas wie die Festplatte des Gehirns – mit einer fast unbegrenzten Speicherkapazität. Gedächtnisforscher unterscheiden zusätzlich das deklarative vom prozeduralen Gedächtnis. Ersteres beinhaltet Erinnerungen, Fakten und erlerntes Wissen, das prozedurale Gedächtnis demgegenüber Fertigkeiten wie Sprechen, Lesen, Tanzen und Kochen.

Wissenschaftler gehen davon aus, dass Inhalte, die sich im Arbeitsspeicher befinden, innerhalb von 20 bis 30 Sekunden verloren gehen, wenn sie nicht wiederholt oder aktiv mit anderen Informationen verknüpft (elaboriert) werden. Sollen Informationen also langfristig gespeichert werden, müssen die eingehenden Informationen geordnet werden.

Geordnete, gruppierte und bildliche Vorstellungen kann sich das Gehirn viel besser merken als Informationen ohne einen gemeinsamen Zusammenhang. Hören Testpersonen beispielsweise zwanzig verschiedene Begriffe, können sie sich sehr schlecht an alle einzelnen erinnern. Werden diese Begriffe logisch gruppiert, fällt das Speichern und Abrufen der Informationen wesentlich leichter. Eine solche Gruppierung der Informationen wird Chunking genannt. Chunks sortieren Begriffe in vertraute Einheiten und erleichtern so das Merken.

Einflussfaktoren

Der Lernprozess ist komplex und zeitaufwändig. Um Wissen zu erwerben und zu behalten, reicht es in der Regel nicht aus, einen Text nur durchzulesen, aufmerksam einem Vortragenden zuzuhören oder ein Seminar zu besuchen. Ob Lernende Informationen behalten, hängt zudem stark vom Lernstoff ab. So werden beispielsweise neue und abstrakte Arzneimittelnamen wesentlich schneller vergessen als logische und nachvollziehbare Gesetzmäßigkeiten. Ein Visualisieren und Systematisieren der Informationen durch Bilder, Eselsbrücken, Akronyme (Anfangsbuchstaben wichtiger zu lernenden Begriffe) oder Mind-Maps sind nur einige der vielen Methoden, die die Verfestigung der gelernten Inhalte erleichtern. Auch Einflüsse von außen wie Lärm oder eingehende Nachrichten auf dem Smartphone sowie zu wenig Schlaf, persönliche Probleme oder eine schlechte Ernährung können die Aufnahme von Informationen negativ beeinflussen. Weitere Gesichtspunkte beim Lernen sind:

  • Kognitive Faktoren: Intelligenz, Vorwissen, Merkfähigkeit
  • Metakognitive Faktoren: Kenntnis der geeigneten Lernstrategien und Methoden
  • Emotionale Faktoren: Ärger, Wut, Freude
  • Motivationale Faktoren: Interessen, Lernmotivation, Zielorientierung

Auch wenn sich Menschen oft wünschen Informationen, die sie einmal gehört haben, nie wieder zu vergessen, hat der Vorgang des Vergessen aus psychologischer Sicht sogar einen Sinn. So wies der Psychoanalytiker Sigmund Freud darauf hin, dass psychische Erkrankungen mit belastenden Erinnerungen zu tun haben. Er ging davon aus, dass bei der Behandlung solcher Erkrankungen diese Erinnerungen entsprechend verarbeitet und mit anderen Informationen verknüpft werden müssen. Kurz gesagt: Betroffene sollen die belastenden Erinnerungen vergessen. Je häufiger sich Menschen an etwas erinnern und mit anderen beispielswiese einem Therapeuten darüber sprechen, desto mehr verändern sie unbewusst die Erinnerung. Im therapeutischen Bereich kann diese Art des Vergessens und des Verarbeitens sehr heilsam sein.

Lernen im und für den Alltag

Es gibt Lernarten, die keine didaktischen Lernmethoden darstellen und nicht dazu verhelfen sich schnell und effektiv Lerninhalte einzuprägen. Dennoch spielen diese Formen des Lernens eine sehr prägnante Rolle im Alltag sowie dem menschlichen Miteinander.

Die Anpassung und Gewöhnung an Reize und Reizkonstellationen wird als nicht-assoziatives Lernen bezeichnet. Bei neuen Reizen beispielsweise einer neuartigen Viruserkrankung reagieren wir zunächst mit Schreck, einer Abneigung und erhöhen unsere Aufmerksamkeit. Nach einer gewissen Zeit gewöhnen wir uns an den Reiz und an die Gefahren, die von ihm ausgehen, lernen den Umgang mit der Situation und nehmen sie als selbstverständlich an. Diesen Lernprozess beschreiben die Psychologen als Habituation.

Assoziatives Lernen (klassische Konditionierung) hingegen bezieht sich auf die Lernvarianten, bei denen verschiedene Reize miteinander verknüpft werden. Demnach können Reize wie eine Chemieprüfung einen bestimmten Reflex wie Angst auslösen. Diese Angst kann im Weiteren nicht nur die Chemieklausur selbst betreffen, sondern in eine generelle Prüfungsangst übergehen. So werden konkrete Reize, die ursprünglich als unangenehm, schmerzlich oder bedrohlich interpretiert wurden, auch auf andere Reize (alle Klausuren) übertragen.

Der Vorgang des Konditionierens hat in der Verhaltenstherapie eine zentrale Bedeutung, denn durch therapeutisches Lernen wie Konfrontation und Auseinandersetzung wird ein Umlernen problematischer Verhaltensmuster angestrebt. Betroffene empfinden dadurch Angst oder negative Gedanken als wesentlich weniger unangenehm als vorher.

Das Lernen am Modell bezeichnet die Lernvorgänge, die durch die Beobachtung anderer ausgelöst werden. Menschen neigen dazu Vorbilder nachzuahmen, die als erfolgreich und bewundernswert wahrgenommen werden. In der Zeit der Vernetzung über die sozialen Netzwerke ist diese Lernart gegenwärtig sehr präsent und daher von großer Relevanz. Häufig werden Verhaltensweisen der Influencer unkritisch nachgeahmt, geteilt, gelikt und für gut befunden, unabhängig davon, ob es sich um positive oder sozial wünschenswerte Verhaltensweisen und Ansichten handelt.

Gewöhnung, klassisches Konditionieren und das Beobachtungslernen stellen die Grundlage für das Erlernen der sogenannten Schlüsselqualifikationen (soft skills) dar. Diese inhaltsübergreifenden Kompetenzen sind wichtig , um die Anforderungen im Berufs- und Alltagsleben erfolgreich bewerkstelligen zu können. Zu ihnen gehören Empathie, Toleranz, Umgang mit Stress, Konfliktfähigkeit, Kompromissbereitschaft und vieles mehr. Schlüsselqualifikationen beeinflussen nicht nur unsere Motivation, Emotion und unser Verhalten, sondern ermöglichen auch ein effektives und nachhaltiges Lernen in der Ausbildung und im Studium.

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