So wirkt der Booster auf das Immunsystem |
Verena Schmidt |
02.03.2022 16:00 Uhr |
Booster-Impfungen kurbeln den Immunschutz deutlich an. Für bestimmte Risikogruppen sowie Pflegepersonal werden daher aktuell zwei Auffrischungen gegen Covid-19 empfohlen. / Foto: Getty Images/Panuwat Dangsungnoen
Bei einer Impfung wird dem Immunsystem meist ein abgetöteter oder abgeschwächter Erreger oder auch nur ein Bruchstück davon (zum Beispiel bei den Spaltimpfstoffen gegen Influenza) präsentiert. Bei den neueren genbasierten Impfstoffen ist das Prinzip etwas abgewandelt: Hier wird die genetische Information für ein Antigen über den Impfstoff zugeführt. Die Zellen der geimpften Person stellen dann selbst das Antigen her – im Fall der mRNA-Vakzinen gegen Covid-19 ein intaktes Spike-Protein von SARS-CoV-2.
Nach dem Piks bildet der Körper dann ein Immungedächtnis aus. Dazu stellen die B-Zellen des adaptiven Immunsystems spezifische Antikörper her, die genau auf das Erreger-Antigen passen. Kommt es dann später zu einem Kontakt mit dem Erreger, ist das Immunsystem vorbereitet: Es hat Gedächtniszellen gebildet und kann dann schnell die passenden Antikörper herstellen. Diese binden die Erreger und neutralisieren sie, bevor sie in Körperzellen eindringen können. Die Antigen-Antikörper-Komplexe können zudem von Fresszellen aufgenommen und abgebaut werden.
Daneben spielt auch die Aktivierung von T-Zellen eine wichtige Rolle bei der Immunantwort auf eine Impfung. Entscheidend sind hier vor allem zwei Zelltypen: Die T-Killerzellen erkennen virale Protein-Fragmente (Epitope) auf infizierten Zellen und töten diese Zellen ab, um die Virusproduktion zu stoppen. T-Helferzellen setzen verschiedene entzündungsfördernde Botenstoffe frei, die etwa die Fresszellen aktivieren und die B-Zellen zur Bildung von Antikörpern anregen.
Viele Viren verändern sich ständig durch Mutationen. Das ist auch der Grund, warum die Grippeimpfung jedes Jahr aufs Neue mit einer Vakzine, die möglichst genau auf die aktuell zirkulierenden Virusvarianten angepasst ist, erfolgen muss. Auch bei der Omikron-Variante von SARS-CoV-2 gibt es zahlreiche Mutationen, vor allem am Spike-Protein. Die Antikörper, die der Körper nach der Impfung hergestellt hat, sind also nicht optimal darauf zugeschnitten, die Omikron-Varianten zu erkennen und zu bekämpfen. Eine Infektion mit Symptomen nach der Impfung, also ein Impfdurchbruch, ist daher bei einer Omikron-Infektion wahrscheinlicher als bei den vorherigen Virusvarianten.
Ist dann das Impfen mit dem aktuell verfügbaren Impfstoff überhaupt sinnvoll? Ja durchaus, denn bei Geimpften und Genesenen besteht Studien zufolge immer noch ein relativ guter Schutz durch die T-Zellen. Die T-Zellen bleiben nach einer Erkrankung oder Impfung in der Regel länger erhalten als Antikörper. Sie spielen auch eine Schlüsselrolle beim Schutz vor einem schweren Krankheitsverlauf. So sind sie weiterhin in der Lage, die wesentlichen Bestandteile des Virus in befallenen Zellen aufzuspüren. Ein Forscherteam der Universität Kapstadt in Südafrika konnte bei Genesenen und Geimpften zu 70 bis 80 Prozent die erhoffte T-Zell-Antwort gegen Omikron beobachten. Das ist eine ähnliche Größenordnung wie bei den älteren Varianten Beta und Delta.
Eine Auffrischimpfung trainiert aber auch die B-Zellen weiter und kurbelt die Produktion von Antikörpern noch einmal deutlich an. Zwei Studien zeigen, dass sich bei jedem Kontakt mit dem Erreger – ob durch Impfung oder Infektion – die B-Zellen stark vermehren. Es kommt zudem zu einer Affinitätsreifung der neutralisierenden Antikörper, das heißt, es werden immer besser passende Antikörpermoleküle gebildet. Für einen guten Antikörper-Schutz vor Omikron sind den Untersuchungen zufolge drei Expositionen mit dem Virus beziehungsweise dem Spike-Antigen nötig: entweder eine dreimalige Impfung von bislang nicht Erkrankten, eine zweimalige Impfung nach einer Infektion oder nach einem Durchbruch nach zwei Impfdosen.
Wenn der Booster das Immunsystem so gut trainiert, könnte es dann clever sein, sich alle drei oder vier Monate eine neue Coronaimpfung abzuholen? Das scheint nach aktuellem Stand keinen großen Nutzen zu haben. Allzu häufiges Boostern sei keine sinnvolle und nachhaltige Strategie, warnte die EU-Arzneimittelbehörde EMA im Januar. Mehr als zwei Booster-Impfungen in kurzer Zeit könnten die Immunreaktion beeinträchtigen. Dann würde möglicherweise nicht mehr die gewünschte Immunantwort hervorgerufen, wird Marco Cavaleri, der Leiter der EMA-Abteilung »Biologische Gesundheitsbedrohungen und Impfstrategien« zitiert.
Er riet dazu, Boosterimpfungen nur ein- oder zweimal einzusetzen. Die STIKO empfiehlt aktuell allen Personen ab zwölf Jahren eine Auffrischimpfung frühestens drei Monate nach der abgeschlossenen Grundimmunisierung. Eine zweite Auffrischimpfung wird für Menschen ab 70 Jahren, Menschen in Pflegeeinrichtungen, Menschen mit Immunschwäche ab fünf Jahren sowie Beschäftigte in medizinischen Einrichtungen und Pflegeeinrichtungen empfohlen. Die Risikogruppen sollen den zweiten Booster frühestens drei Monate nach der ersten Auffrischimpfung bekommen, medizinisches und Pflege-Personal frühestens nach sechs Monaten.
Einige Experten halten es für möglich, dass es zukünftig wie bei der Grippe auf eine jährliche Coronaimpfung mit auf die jeweils zirkulierenden Varianten angepassten Impfstoffen hinauslaufen könnte. Sowohl Biontech/Pfizer als auch Moderna arbeiten derzeit an mRNA-Impfstoffen, die an die Omikron-Variante angepasst sind. Ob sie besser als die bisherigen Vakzinen vor Covid-19 schützen, ist nach ersten Tierstudien allerdings zweifelhaft.
Bei schweren Verläufen von Covid-19 ist das Immunsystem des Patienten offenbar nicht zu schwach, sondern vielmehr fehlgeleitet. Überaktive Immunzellen greifen körpereigenes Gewebe an und zerstören es, auch wenn die eigentliche Virusinfektion bereits eingedämmt oder überstanden ist. Das zeigt eine Untersuchung eines deutschen Wissenschaftsteams vom Berlin Institute of Health in der Charité (BIH).
Die Forschenden entdeckten bei schwer an Covid-19 erkrankten Menschen T-Zellen, die auf ihrer Oberfläche das Molekül CD16 tragen. CD16 erwarte man laut Professor Dr. Birgit Sawitzki, Leiterin der Abteilung Translationale Immunologie am BIH, eigentlich auf Zellen des angeborenen Immunsystems, etwa Natürlichen Killerzellen oder Monozyten, nicht auf T-Zellen, die zum spezifischen Immunsystem gehören. CD16 hilft den Zellen des angeborenen Immunsystems dabei, virusbefallene Körperzellen zu erkennen und abzutöten. Das Molekül erkennt Antikörper, die an virusbefallene Zellen gebunden sind, und regt daraufhin Immunzellen an, die befallenen Zellen abzutöten.
T-Zellen brauchen das eigentlich nicht. »T-Zellen erkennen die virusbefallenen Zellen mit ihrem T-Zell-Rezeptor, der spezifisch an präsentierte Virusbestandteile bindet und dadurch die T-Zelle dazu anregt, die Zielzelle abzutöten. Eine zusätzliche Aktivierung durch CD16, unabhängig vom T-Zellrezeptor, kann die zerstörerische Funktion der T-Zellen deutlich steigern«, erklärt Sawitzki in der Pressemeldung. »Das ist gefährlich, denn die T-Zellen haben eigentlich einen Sicherheitsmechanismus eingebaut: Mit ihrem T-Zellrezeptor erkennen sie fremde Eiweißbausteine, ihre Aktivität richtet sich daher nur gegen befallene oder veränderte Körperzellen. Die Aktivierung über CD16 setzt diesen Sicherheitsmechanismus außer Kraft, und so können auch nicht infizierte Gefäßzellen angegriffen werden.«
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.