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Mutter ab 35

Spätes Mutterglück – Risiken und Vorteile

Werdende Mütter ab 35 gelten als Risikoschwangere. Das Fehlbildungsrisiko des Embryos ist erhöht, auch schwangerschaftsassoziierte Erkrankungen wie Gestationsdiabetes und Präeklampsie kommen bei älteren Müttern häufiger vor als bei jüngeren. Nichtsdestotrotz kann die späte Mutterschaft auch einige Vorteile haben.
Judith Schmitz
24.03.2020  13:00 Uhr

Frauen bekommen heutzutage später ihr erstes Kind als noch wenige Generationen zuvor. 1990 etwa lag das Durchschnittsalter von Erstgebärenden in Deutschland bei etwa 26,5 Jahren, 2018 bei 30 Jahren. Ein Trend, der Experten zufolge auch in Zukunft anhalten wird. Rund jedes vierte Baby wird heute in Deutschland von einer Frau geboren, die älter als 35 Jahre ist. Laut Statistischem Bundesamt war im Jahr 2018 die Mutter bei mehr als 5 Prozent aller Geburten älter als 40. Zwar sei hier die Geburtenhäufigkeit mit 88 Kindern je 1000 Frauen immer noch relativ gering, habe sich aber gegenüber 1990 fast vervierfacht, heißt es in einer Pressemeldung des Bundesamtes.

Sich mit der Geburt des ersten Kindes Zeit zu lassen, bringt oft bestimmte Vorteile mit sich, beispielsweise finanzielle Sicherheit und eine stabile Partnerschaft. Doch mit dem Alter erhöhen sich auch die gesundheitlichen Risiken für Mutter und Kind. Prinzipiell gilt eine Schwangerschaft daher als Risikoschwangerschaft, wenn die Mutter älter als 35 ist.

Risiko Gestationsdiabetes

Ältere Schwangere haben beispielsweise ein erhöhtes Risiko, einen Gestationsdiabetes zu entwickeln. Die Pathophysiologie dieser Erkrankung, die sich erstmals in der Schwangerschaft manifestiert, ist der des Typ-2-Diabetes ähnlich: Die Zellen reagieren zunehmend schlechter auf Insulin (Insulinresistenz), die Bauchspeicheldrüse kann den steigenden Insulinbedarf nicht mehr kompensieren. Im Jahr 2016 wurde laut Institut für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen bei rund 5 Prozent aller Schwangeren ein Gestationsdiabetes diagnostiziert.

An Gestationsdiabetes erkrankte Schwangere können eher hypertensive Erkrankungen entwickeln. Auch Infektionen, Frühgeburten und Depressionen treten bei ihnen häufiger auf. Langfristig ist auch das Risiko erhöht, später einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln. Die Babys wiederum können aufgrund des Überangebots an Glukose sehr groß werden und mit einem erhöhten Geburtsgewicht zur Welt kommen. Viele dieser Risiken lassen sich jedoch durch eine strikte Überwachung durch den Arzt und eine gute Blutzuckereinstellung reduzieren.

Ein höheres Alter der Mutter gilt gemeinhin als Risikofaktor für Gestationsdiabetes. Laut aktueller S3-Leitlinie zur Behandlung dieser Diabetesform gibt es allerdings keine zuverlässigen Daten, ab welcher Altersgrenze das Diabetesrisiko erhöht ist. Weitere Risikofaktoren sind unter anderem auch familiäre Diabeteserkrankungen, ein erhöhter mütterlicher Body-Mass-Index (BMI), die Zahl der Geburten einer Frau und eine frühere Schwangerschaft mit Gestationsdiabetes.

Gefahr Bluthochdruck

Frauen ab 35 entwickeln auch häufiger als jüngere Bluthochdruck in der Schwangerschaft. Kommt eine erhöhte Proteinausscheidung über den Urin hinzu, kann es zu einer gefürchteten Präeklampsie kommen. Anzeichen können Ödeme, Schwindel, Kopfschmerzen, Benommenheit, Sehstörungen, Übelkeit und Erbrechen sein.

Bei Bluthochdruck in der Schwangerschaft ziehen sich die Blutgefäße in der Gebärmutter zusammen. Die optimale Versorgung des Babys mit Sauerstoff und Nährstoffen ist daher gefährdet. Das Ungeborene wächst möglicherweise verzögert und hat ein niedrigeres Geburtsgewicht. Die Plazenta kann sich zudem frühzeitig lösen. Bei der Mutter können das Herz-Kreislauf-System, die Nieren, die Leber und die Blutbildung in Mitleidenschaft gezogen werden. Eine lebensbedrohliche Komplikation ist die Weiterentwicklung der Präeklampsie zur Eklampsie. Dabei treten neurologische Störungen auf, vor allem Krampfanfälle. Eine weitere schwerwiegende, mitunter lebensbedrohliche Komplikation ist das HELLP-Syndrom – H für Hämolyse, EL für erhöhte Leberwerte (elevated liver function tests) und LP für niedrige Thrombozytenzahl (low platelet counts). Die Leber der Schwangeren arbeitet nicht mehr richtig, und es kommt zu heftigen Schmerzen im Oberbauch, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall.

Die genaue Ursache der Präeklampsie ist nicht bekannt. Neben dem Alter der Mutter, vor allem über 39, gelten Übergewicht, Mehrlingsschwangerschaften, familiäre Vorbelastung, die erste Schwangerschaft sowie eine Präeklampsie in einer vorherigen Schwangerschaft als Risikofaktoren, ebenso chronische Erkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes und Autoimmunerkrankungen bei der Mutter.

Fehlgeburten häufiger

Eine weitere Gefahr bei einer Schwangerschaft um das 40. Lebensjahr: Die Wahrscheinlichkeit für eine Fehlgeburt ist erhöht. Mit 30 Jahren liegt sie bei rund 10 Prozent, mit 40 bei 34 Prozent und bei über 40-Jährigen bei über 53 Prozent. Auch steigt das Fehlbildungrisiko des Embryos. Genomanomalien, vor allem Trisomien, der Chromosomen 21, 13 und 18, treten bei Kindern älterer Mütter häufiger auf. Zur Verdeutlichung: Bei einer 25-jährigen Mutter liegt die Wahrscheinlichkeit, dass ihr Neugeborenes eine Trisomie 21 hat, durchschnittlich bei 1:1100, bei einer 35-jährigen bei 1:350, bei einer 40-jährigen bei 1:100.

Die medizinische Vorsorge während der Schwangerschaft trägt dem Risiko für häufigere Komplikationen einer Schwangeren ab 35 Rechnung, Kontrolluntersuchungen finden engmaschiger statt. Zudem stehen heute verschiedene freiwillige pränataldiagnostische Untersuchungen zur Verfügung: etwa das Ersttrimesterscreening mit Messung der Nackentransparenz, eine invasive Fruchtwasserpunktion (Chorionzottenbiopsie) sowie ein Test der zellfreien fetalen DNA im Blut der Mutter, mit dem verschiedene Trisomien sowie X/Y-Chromosomenstörungen festgestellt werden können.

Kurze Nächte, neuer Tagesablauf

Ist das Kind geboren, ändert sich das Leben von Mutter und Vater nachhaltig. Ob eine ältere Frau gegenüber einer jüngeren Vorteile oder Nachteile im Umgang mit der neuen Lebenssituation und dem Kind, hat, ist dann vor allem Typsache. Ulla Wiesbrock-Schmidt betreut Frauen seit 25 Jahren als Hebamme während der Schwangerschaft und im Wochenbett. Wenn sie alle Mütter vergleiche, sagt sie, scheint es ihr, als reagierten ältere Erstgebärende nicht so flexibel auf die neue Situation wie jüngere. Sie erlebe oft ältere Frauen, die vor der Geburt fest im Berufsleben standen, die sich einen Freundeskreis aufgebaut und nach festen Alltagsabläufen gelebt haben, erläutert sie im Gespräch mit PTA-Forum. Viele von ihnen könnten sich zumindest anfangs nicht so gut auf das neue Leben mit Kind einstellen: auf die kurzen Nächte, das Geschrei, erst einmal oder auch für längere Zeit auf das Zurückstecken im Job, auf das geringere oder ausbleibende Einkommen, eine neue Gestaltung des Tagesablaufes, eine neue Art der Beziehung zum Partner und mit den Freunden.

Mütter ab 40 seien auch teils körperlich etwas unfitter als Mütter mit Mitte 20. Hinzu käme insbesondere bei Frauen, die schon seit Jahren versucht haben, ein Kind zu zeugen, dass wenn es endlich geklappt hat, alles perfekt sein müsse. Damit setzten sich die Frauen zusätzlich unter Druck, so Wiesbrock-Schmidt. Oftmals bleibe es bei Spätgebärenden bei einem Kind. Selbst hat die Hebamme ihre drei Kinder mit Mitte 20 in kurzen Abständen hintereinander bekommen und beschreibt die damalige Situation als »easy«, was sie neben ihrer entspannten Art dem jungen Alter zuschreibt.

Stabil und reif

Dr. Heidi Gößlinghoff ist eine auf Reproduktionsmedizin spezialisierte Gynäkologin und selbst Spätgebärende. Mit 38, 39 und 49 brachte die heute 57-Jährige drei gesunde Kinder zur Welt. Sie sieht einige Vorteile in der späten Mutterschaft: Die Karriere ist meist gefestigt, die Frauen haben genug Geld. Viele lebten in einer stabilen Paarbeziehung und seien oftmals aufgrund der Lebenserfahrung emotional reifer als jüngere Mütter – und dadurch auch in der Erziehung ihres Nachwuchses entspannter. Mit über 40 hätten viele das nächtelange Ausgehen hinter sich. Selbst wenn der Beruf mit der neuen Familiensituation nicht mehr vereinbar ist, falle es älteren Frauen leichter, sich umzuorientieren. Sie hätten sich bereits beruflich bewiesen, und könnten nun, falls eine Weiterbildung oder ein Neueinstieg ansteht, auf ihre Erfahrung zurückgreifen.

Ein Problem kann es für manche Mütter über 40 sein, Gleichgesinnte beziehungsweise gleichaltrige Mütter zu finden, mit denen sie sich austauschen können oder die dieselben Interessen haben. Ältere Mütter könnten manchmal auch etwas ängstlicher in dem sein, was sie ihrem Kind beim Spielen zutrauen, jüngere Mütter seien da häufig unbedarfter.

In der Praxis erlebt Gößlinghoff ältere Schwangere meist als ruhiger und vernünftiger als jüngere: Ältere Schwangere rauchen seltener als jüngere oder hören williger damit auf. Tritt bei einer älteren Frau während der Schwangerschaft eine Komplikation auf, dann arbeite sie meist besser mit als eine jüngere, messe etwa regelmäßig ihren Blutdruck. Auch stellt sie fest, dass sich ältere werdende Mütter prinzipiell gesünder ernähren. Am entspanntesten erlebt die Frauenärztin ältere Frauen mit Kinderwunsch, die bereits Nachwuchs haben. Wenn es erneut klappt, sind sie happy, wenn nicht, können sie es gut verkraften.

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