Stimmungstief oder Depression? |
Ältere Menschen müssen häufig mit lebensverändernden Ereignissen umgehen. Depressive Verstimmungen sind daher nicht selten. Wann aber liegt eine echte Depression vor? / Foto: Adobe Stock/Justlight
Depressionen sind weltweit eine der Hauptursachen für krankheitsbedingte Beeinträchtigungen im Alltag. Laut Robert-Koch-Institut (RKI) haben sie in westlichen Ländern den drittgrößten Anteil an der gesamten Krankheitslast. Psychische und körperliche Gesundheit sind zudem eng miteinander verknüpft und beeinflussen sich gegenseitig. So ist beispielsweise der wechselseitige Zusammenhang zwischen Depression und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, aber auch Diabetes und Adipositas gut belegt. Laut RKI erkranken hierzulande 8,1 Prozent aller Personen zwischen 18 und 79 Jahren im Laufe eines Jahres an einer Depression, unter den 70 bis 79- Jährigen dagegen nur 6,1 Prozent. Allerdings leiden ältere Menschen zwei bis drei Mal so häufig unter leichteren Depressionen und depressiven Befindlichkeitsstörungen unterhalb der Krankheitsschwelle.
Typische Auslöser solch depressiver Befindlichkeitsstörungen, mit denen ältere Menschen in Therapie kommen, seien schwere Ehekrisen, angedrohte oder vollzogene Scheidungen und Identitätsprobleme nach dem Ende der Berufstätigkeit, berichtet Diplom-Psychologe Axel Kreutzmann, Leiter der Fachgruppe Klinische PsychologInnen in der Arbeit mit älteren Menschen beim Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen. »Dass sich Paare im Alter von 60, 70 oder gar 80 Jahren trennen, ist dabei eine neuere Entwicklung, das hat es früher nicht gegeben.« Sich im höheren Lebensalter noch einmal grundsätzlich neu zu orientieren, berge ein gewisses Risiko für Einsamkeit und Verlust, aber auch die Chance, sich aus einem Zustand zu befreien, den man schon Jahre oder gar Jahrzehnte lang als eher negativ empfinde.
Auch der Eintritt in den Ruhestand verlaufe für viele Menschen zunächst krisenhaft, berichtet der Diplom-Psychologe. »Denn er wirft die Frage auf: ‚Wer bin ich jetzt eigentlich, ohne meinen Beruf?‘« Dabei gehe es nicht nur darum, einen neuen Tagesablauf zu gestalten, sondern weit darüber hinaus auch um die Entwicklung eines neuen Selbstbildnisses. Viele Menschen, die mit derlei Umstellungen hadern, benötigten nicht unbedingt eine Psychotherapie, könnten aber von einer niedrigschwelligen Beratung profitieren.
Um ihren Kunden eine solche Perspektive zu eröffnen, sollten PTA ihnen, wenn möglich, zunächst einmal zuhören, »ohne sie vorschnell mit einem guten Rat zu unterbrechen«. Dann sollten sie ihnen idealerweise ein wenig Bestätigung und auch Entlastung schenken, zum Beispiel in Form eines Satzes wie »Das kann ich mir vorstellen, dass das jetzt nicht einfach für Sie ist«, oder »Das, was Sie gerade erzählen, habe ich in der letzten Zeit häufiger gehört.« Verläuft das Gespräch vertrauensvoll, könnte eine abschließende Empfehlung lauten: »Vielleicht kann es Ihnen helfen, mal ein Gespräch mit einem Profi / an einer – beispielsweise kommunalen - Beratungsstelle zu führen? Ich habe schon oft gehört, dass so ein Gespräch hilfreich ist.« Der Hinweis darauf, dass schon ein einziges Beratungsgespräch eine große Hilfe sein kann, kann die Schwellenangst, ein solches Angebot wahrzunehmen, deutlich senken.
Schwerwiegender als die geschilderten Befindlichkeitsstörungen ist eine echte Depression. »Belastende Lebensumstände werden hier als Ursache überschätzt. Entscheidend ist die Veranlagung. Liegt diese nicht vor, dann führen auch große Bitternisse nicht zu einer depressiven Erkrankung. Liegt sie dagegen vor, dann rutschen Menschen im Laufe ihres Lebens immer wieder in eine Depression, auch wenn es ihnen von außen betrachtet gut geht«, erklärt Professor Dr. Ulrich Hegerl, Vorstandvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Es komme immer wieder vor, dass selbst schwere Depressionen nicht erkannt und »nur« als Reaktion auf widrige Umstände, als »Burnout« oder »Probleme mit dem Altern« interpretiert würden. Dies könne zu falschen Lebensentscheidungen führen, etwa zu einer Arbeitszeitreduktion oder dem vorzeitigen Ruhestand. »Wenn aber die Depression und nicht die Arbeit Ursache für das Erschöpfungsgefühl war, dann ist nichts gewonnen durch den Vorruhestand – es kommt zu weiteren Krankheitsphasen, der Betroffene hat dann nur keinen Job mehr.«
Ein weiteres Beispiel: Rückenschmerzen oder Ohrgeräusche sind im Alter häufig, werden aber meist in Kauf genommen, ohne dass die Lebensqualität allzu sehr leidet. Leidet ein Mensch an Depressionen, empfindet er die gleichen Beschwerden in der Regel als unerträglich. Deshalb rücken oft diese, und nicht die Depression, in den Mittelpunkt der Wahrnehmung. Wird die Depression deshalb übersehen beziehungsweise die Verzweiflung nur als Folge der körperlichen Beschwerden betrachtet, besteht das Risiko, dass die Depression nicht konsequent behandelt wird. Das sei tragisch, denn eigentlich sind Depressionen gut behandelbar, betont Hegerl.
»Menschen mit tiefer Erschöpfung und Niedergeschlagenheit sollten sich professionelle Hilfe holen. Diese erhalten sie beim Facharzt, das heißt dem Psychiater, beim Psychologischen Psychotherapeuten oder auch beim Hausarzt.« Fachärzte könnten differenzieren, ob ein Patient unter Befindlichkeitsstörungen leidet, die durch seine Lebensumstände bedingt sind, oder an einer eigenständigen Depression, erläutert der Psychiater. So berichten Menschen mit Depressionen oft von innerer Leere und der Unfähigkeit, eigene Gefühle wahrnehmen zu können. Typisch ist weiter die Neigung zu Schuldgefühlen und Freudlosigkeit.
Weiter berichten die Betroffenen von einem tiefen Erschöpfungsgefühl bei innerer Daueranspannung, so als ob sie permanent vor einer Prüfung stehen würden. »Bei einer Überforderung kann Ausschlafen eine gute Idee sein, bei einer Depression führen langer Schlaf und lange Bettzeiten oft zu einer Verschlechterung der Depression und des Erschöpfungsgefühls«, erklärt Hegerl. »Deshalb ist oft auch die Depression am Morgen schwerer ausgeprägt und bessert sich gegen Abend. Schlafentzug ist ja auch eine in Kliniken angebotene Behandlung, die bei der Mehrheit der Betroffenen zu einem abrupten Abklingen der Depression führt, leider allerdings nur bis zum nächsten Schlaf in der darauffolgenden Nacht.«
Die wichtigsten Säulen der Behandlung von Depressionen sind die Psychotherapie und die Behandlung mit Antidepressiva – oft in Kombination miteinander. Viele Menschen stünden dem Gebrauch von Antidepressiva zunächst misstrauisch gegenüber, berichtet Hegerl. Dies sei verständlich, da insbesondere Laien Depressionen vor allem als Reaktion auf schwierige Lebensumstände auffassen und dann Medikamente als wenig sinnvoll erscheinen würden. Oft werde so viel Zeit verloren, bis Betroffene einen Behandlungsversuch mit Antidepressiva machen würden. Anders als oft befürchtet machen diese nicht süchtig, sie seien auch keine »Happy-Pillen« und würden auch zu keiner Änderung der Persönlichkeit führen. PTA können Patienten hier unterstützen und bekräftigen: Antidepressiva sind der am häufigsten verwendete Behandlungsansatz bei Depressionen und helfen sehr vielen Menschen.