Strategien zur Darmkrebs-Vorsorge |
Wenn wann auf sein Darmkrebsrisiko testen – und mit was? Die richtige Vorsorgestrategie erhöht die Trefferquote. / Foto: Adobe Stock/sdecoret
Darmkrebs ist derzeit in Deutschland bei Männern dritthäufigste und bei Frauen sogar die zweithäufigste maligne Erkrankung. Jede achte Krebserkrankung betrifft den Dickdarm (Kolon) beziehungsweise den Mastdarm (Rektum). Zu dem Ergebnis sind Epidemiologen am Zentrum für Krebsregisterdaten des Robert Koch-Instituts gekommen. Im Jahr 2016 - das sind die derzeit aktuellsten verfügbaren Zahlen - gab es 25.990 Neuerkrankungen bei Frauen und 32.300 bei Männern.
Als Zehn-Jahres-Überlebensrate nennen die Wissenschaftler 60 beziehungsweise 56 Prozent. Das ist, verglichen mit vielen anderen Krebserkrankungen, kein guter Wert. Bei Hodenkrebs, Melanomen der Haut, Schilddrüsen- oder Brustkrebs leben nach zehn Jahren noch zwischen 80 und nahezu 100 Prozent aller Patienten. Das Problem: Ärzte entdecken Darmkrebs teilweise erst in derart fortgeschrittenen Stadien, wenn keine Heilung mehr möglich ist. Genau deshalb ist die Vorsorge so wichtig. Schließlich – und das ist die gute Nachricht – ist Darmkrebs eine der wenigen Krebsarten, die sich durch Vorsorge annähernd verhindern lässt.
Wie es zu Kolonkarzinomen kommt, ist Gegenstand zahlreicher Forschungsprojekte. Prinzipiell kann man – wie andere Krebsarten auch – das Kolonkarzinom als Alterserkrankung betrachten. Mehr als die Hälfte aller Patienten sind jenseits ihres 70. Lebensjahrs betroffen. Vor dem 55. Lebensjahr treten nur zehn Prozent aller Fälle auf. Bei Senioren geht die Häufigkeit seit einigen Jahren zurück.
Doch dem steht ein gegenläufiger Trend entgegen, wie Gastroenterologen und Krebsspezialisten beobachten. Bei 20- bis 29-Jährigen ist die Häufigkeit zwischen 1990 und 2016 auf fast das Dreifache angestiegen, genau von 0,8 auf 2,3 Fälle pro 100.000 Menschen. Erklärungen gibt es bisher nicht, aber zumindest einige Vermutungen.
Darmkrebs entsteht durch ein Zusammentreffen und Wechselspiel von ungünstigen Erbfaktoren, Lebensstil und Umwelteinflüssen. Wer sich wenig bewegt, starkes Übergewicht mit sich herumträgt, raucht, viel gepökeltes Fleisch konsumiert und wenig Ballaststoffe aufnimmt, hat ein höheres Risiko. Einen gewissen Schutz bieten reichlich pflanzliche Kost und Ballaststoffe, regelmäßige Bewegung, aber auch niedrig dosierte Acetylsalicylsäure. Doch gerade bei ASS gilt es, den Nutzen gegen mögliche Risiken wie Blutungen abzuwägen: eine Entscheidung, die nur Ärzte, aber nicht Patienten treffen sollten.
Auch manche Grunderkrankungen scheinen mit Darmkrebs in Verbindung zu stehen, wie Forscher des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) und des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg berichten. Besonders Diabetes mellitus hat sich dabei als Risikofaktor hervorgetan. Dazu haben sie die Daten von 12,6 Millionen nach 1931 geborenen schwedischen Bürger inklusiv deren Eltern ausgewertet. Solche Untersuchungen sind in skandinavischen Ländern eher möglich, weil es für die Forschung umfassende Patientenregister gibt.
Ihr Ergebnis: Das Risiko, in jungen Jahren an Darmkrebs zu erkranken, war bei Diabetikern ohne Verwandte mit Darmkrebs ähnlich hoch wie bei familiär vorbelasteten Nicht-Diabetikern. Und: Diabetiker, bei deren Verwandten ersten Grades Darmkrebs diagnostiziert wurde, hatten gegenüber der Allgemeinbevölkerung ein etwa siebenfach erhöhtes Risiko, bereits unter 50 Jahren selbst an Darmkrebs zu erkranken.
Der immunologische iFOBT-Stuhltest ist zuverlässiger und weniger störanfällig als der Guajak-Test, wird aber nur selten genutzt. / Foto: Adobe Stock/dusanpetkovic1
Erschwerend kommt hinzu, dass Darmpolypen als gutartige Vorstufe anfangs kaum zu Beschwerden führen. Patienten bringen Verstopfung, Blähungen oder leichte Bauchschmerzen nicht mit malignen Erkrankungen in Zusammenhang. Und Blutbeimengungen sind im Stuhl schlecht sichtbar (»okkultes Blut«) und treten überdies erst recht spät im Verlauf der Erkrankung auf.
Darmspiegelungen (Koloskopien) oder gar Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren sind aus ökonomischen Gründen nicht flächendeckend möglich. Deshalb gibt es in Deutschland Teststrategien, die sich am Risiko der jeweiligen Personengruppe orientieren. Die Erfahrung zeigt, dass Darmkrebs bei Männern früher als bei Frauen auftritt. Daraus hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) Ansprüche für gesetzlich Versicherte abgeleitet. Krankenkassen müssen ihre Mitglieder seit Juli 2019 darüber informieren.
Zur Früherkennung von Darmkrebs können gesetzlich Versicherte derzeit wie folgt eine Darmspiegelung auf Kosten der Krankenkasse vornehmen lassen:
Im Alter von 50 bis 54 Jahren können Frauen und Männer jährlich einen immunologischen Test (iFOBT) auf okkultes, also nicht direkt sichtbares Blut im Stuhl durchführen lassen. Da wissenschaftliche Daten zeigen, dass Männer im Vergleich zu Frauen ein höheres Risiko haben, an Darmkrebs zu erkranken, haben Männer ab 50 Anspruch auf zwei Darmspiegelungen im Mindestabstand von zehn Jahren; bei Frauen ist dies erst ab 55 Jahren möglich. Frauen und Männer ab 55, die keine Koloskopie bekommen haben, können alle zwei Jahre Stuhlproben untersuchen lassen. Generell besteht nach auffälligen iFOBT-Tests Anspruch auf eine Koloskopie. Guajak-Tests sind dagegen aus den Vorgaben verschwunden. Wo liegen die Unterschiede der verschiedenen Test-Varianten?
Viele PTA und Apotheker kennen den Guajak-Test oder Hämoccult-Test als jahrzehntealte Methode, um okkultes Blut nachzuweisen. Er basiert auf der bereits 1864 beschriebenen Guajakharz-Methode. Erste Tests kamen 1901 über Apotheken in den Handel.
Das Harz selbst wird aus Guajak-Bäumen gewonnen. Sie wachsen in Zentralamerika und in der Karibik. Es enthält unter anderem die farblose Guajakonsäure. Die chemische Verbindung wird durch Wasserstoffperoxid zu einem blauen Chinon oxidiert. Hämoglobin aus Blut im Stuhl katalysiert diese Reaktion.
Doch Guajak-Tests haben eine niedrige Sensitivität. Zahlreiche Faktoren beeinflussen die Reaktion. Beispielsweise führen Fleischerzeugnisse, aber auch Lebensmittel mit dem Enzym Peroxidase wie Rettich zu falsch positiven Resultaten. Auch Mikroblutungen bei Patienten, die Acetylsalicylsäure regelmäßig einnehmen oder die an Hämorrhoiden leiden, täuschen Darmblutungen vor. Eisenhaltige Supplemente scheinen nicht zu stören. Allerdings kann Ascorbinsäure als Reduktionsmittel zu falsch negativen Ergebnissen führen.
Deutlich besser ist der immunologische fäkale Okkultbluttest (iFOBT). Er beruht auf einer Antikörper-Reaktion mit dem menschlichen Blutfarbstoff Hämoglobin und hat sich in Studien als zuverlässiger im Vergleich zum Guajak-Test erwiesen. Weder Hämoglobin aus Fleisch noch auf Peroxidase aus Lebensmitteln stören die Messung. Mit regelmäßigen immunologischen Okkultbluttests können rund 80 Prozent aller Darmtumore und etwa 20 bis 50 Prozent aller Vorstufen gefunden werden. Aussagen zur Menge an Blut sind nicht möglich.
Hinweis: Seit einigen Jahren gibt es außerdem einen immunologischen Stuhltest auf Pyruvatkinase M2 (PKM2). Das Enzym entsteht bei Erwachsenen nur in Tumorgewebe. Manche Ärzte bieten die Messung als individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) an. Der IGeL-Monitor, ein Projekt des Medizinischen Diensts des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, bewertet den Nutzen von M2-PK-Tests aufgrund fehlender Daten momentan als »unklar«.
Was den immunologischen fäkalen Okkultbluttest angeht, haben »bislang in Deutschland pro Jahr nur rund zehn Prozent der Teilnahmeberechtigten den Stuhltest genutzt«, wird Professor Dr. Hermann Brenner vom DKFZ in einer Pressemeldung zitiert. »Das sind viel zu wenige, und Deutschland hinkt hier im Vergleich zu anderen europäischen Ländern deutlich hinterher.« Brenner erklärt sich dies vor allem mit großen Hürden: »Man muss den Test in der Arztpraxis besorgen, zu Hause durchführen, wieder in der Praxis abgeben und schließlich bei einem erneuten Arzttermin das Ergebnis abfragen.«
Zusammen mit Kollegen hat er deshalb untersucht, ob niedrigschwellige Angebote die Bereitschaft steigern könnten, an Untersuchungen teilzunehmen. 17.532 Versicherte der AOK im Alter von 50 bis 54 Jahren wurden für die Studie ausgewählt. Sie hatten keinen Krebs, aber auch keine malignen Erkrankungen in der Vorgeschichte. Alle Teilnehmer wurden per Zufall drei Gruppen zugeordnet. In der Kontrollgruppe erhielten sie nur postalische Einladungsschreiben. In den beiden Interventionsgruppen konnten Probanden ihren Test entweder selbst bestellen, und zwar per E-Mail, Web beziehungsweise Post. Oder die Testbox wurde ihnen inklusive Anleitung direkt zugeschickt. Alle Kosten wurden übernommen. Wenig überraschend blieb es in der Kontrollgruppe bei Teilnahmequoten von 10 Prozent. In beiden Interventionsgruppen entschieden sich je 30 Prozent für die Untersuchung. Was Brenner nicht untersucht hat: Öffentliche Apotheken könnten als niedrigschwellige Anlaufstellen ebenfalls Testboxen anbieten.
Fiel der iFOBT positiv aus, entschlossen sich zwei Drittel der Betroffen, eine Koloskopie durchführen zu lassen. Ärzte entdeckten bei 40 Prozent dieser Untersuchungen frühe Darmkrebsvorstufen wie Polypen. Und bei 20 Prozent fanden sie weiter fortgeschrittene Veränderungen im Darm, die meist auch gleich entfernt werden konnten.
Bei einem positiven iFOBT oder bei einem Alter von mindestens 50 beziehungsweise 55 Jahren haben Versicherte Anspruch auf eine Darmspiegelung. Zuvor ist eine gründliche Darmreinigung vonnöten; Stuhlreste verhindern die Sicht auf Auffälligkeiten. Wie man richtig abführt, lesen Sie hier. Kurz vor der Untersuchung bekommen Patienten auf Wunsch eine Sedierung mit Midazolam oder eine Kurznarkose mit Propofol.
Das Koloskop besteht aus einem flexiblen, etwa 1,2 Metern langen Kunststoffschlauch mit einem Zentimeter Durchmesser. Im Inneren befinden sich Lichtleiter und weitere elektronische Bauteile. An der Spitze trägt das Gerät einen Videochip, um Bilder auf einen Monitor zu übertragen. Dort befinden sich auch kleine Instrumente wie Zangen und Schlingen.
Denn das ist der große Vorteil der Koloskopie: Der Gastroenterologe kann während einer Untersuchung nicht nur Gewebeproben (Biopsien) nehmen, sondern Polypen gleich entfernen. Das Koloskop wird bis zum Blinddarm beziehungsweise zum letzten Teil des Dünndarmes vorgeschoben. Beim Zurückziehen bringt der Arzt mittels Luft den Darm zur Entfaltung und inspiziert die gesamte Darmschleimhaut sorgfältig, um krankhafte Veränderungen zu erkennen und gegebenenfalls zu entfernen. Die Untersuchung dauert normalerweise etwa 25 Minuten. Koloskopien führen nur selten zu Komplikationen.
Bei älteren Patienten entdecken Gastroenterologen oft Darmpolypen. Ab dem 50. Lebensjahr sind diese Anomalien bei etwa 30 Prozent aller Menschen zu finden. Sie entstehen aus dem Drüsengewebe der Darmschleimhaut und wachsen langsam. Es bildet sich zunächst ein winziger Polyp als Polypenknospe. Diese kann sich mit der Zeit vergrößern und innerhalb längerer Zeit entarten (siehe Grafik). Polypen lassen sich während der Gastroskopie direkt entfernen. Bei drei Prozent aller Personen ab 50 findet man bei der Untersuchung Hinweise auf Karzinome. Hat der Arzt den Verdacht, entnimmt er kleine Gewebeproben zur feingeweblichen Untersuchung. Sie werden an ein histologisches Labor geschickt.
Darmpolypen sind Schleimhautwucherungen, die als flache Verdickungen oder als gestielte Geschwulste aus der Darmschleimhaut ins Darmlumen hineinragen. Manche von ihnen haben das Potenzial, über Jahre hinweg zu entarten (Adenom), die Darmwand zu durchdringen und Blut- und Lymphbahnen zu erreichen. Deshalb werden sie schon während der Darmspiegelung vollständig entfernt. / Foto: PZ-Grafik
Moderne Technologien könnten die Auswertung solcher Proben revolutionieren. Denn die künstliche Intelligenz (KI) eignet sich, um Ärzte bei der Bewertung von Dünnschnitten zu unterstützen. Das geht so: Im ersten Schritt werten Pathologen tausende Proben per Mikroskop aus. Danach füttern sie eine Software mit ihren Ergebnissen und mit den Bilddaten. Das Programm »lernt«, wie sich Tumorgewebe optisch von gesundem Gewebe unterscheidet. Es erkennt Anomalien umso besser, je mehr Daten zuvor eingelesen wurden. Das Prinzip ist als maschinelles Lernen bekannt geworden.
»Bei immer mehr Proben von immer mehr Patientinnen und Patienten können digitale Assistenzsysteme dabei helfen, Fehler zu vermeiden«, wird Professor Dr. Frederick Klauschen in einer Pressemeldung der Berliner Charité zitiert, wo er stellvertretender Direktor des Instituts für Pathologie ist. Zusammen mit Kollegen hat Klauschen gezeigt, dass KI-Anwendungen Lungen-, Brust- und Darmkrebs zuverlässig aufspüren. Doch das Verfahren spart nicht nur Zeit und verringert die Fehlerquote bei Beurteilungen. Es eröffnet personalisierte Therapieentscheidungen anhand von Mustern in Biopsien.
Bleibt als Fazit: Ansprüche auf Stuhltests und Darmspiegelungen zur Vorsorge orientieren sich an Bedürfnissen der Allgemeinbevölkerung. »Obwohl die Richtlinien für die Darmkrebsfrüherkennung die Notwendigkeit einer früheren Vorsorge für Menschen mit engen und entfernt verwandten Darmkrebspatienten berücksichtigen, gibt es bislang nur wenige evidenzbasierte Informationen darüber, wie viele Jahre früher Personen mit familiärer Belastung zur Früherkennung gehen sollten«, so Dr. Mahdi Fallah vom DKFZ in einer Presseinformation.
Zusammen mit Kollegen hat er ebenfalls mit der bereits genannten schwedischen Kohorte mit den Daten von 12,6 Millionen nach 1931 geborenen schwedischen Bürgern gearbeitet. Das Risiko für 50-Jährige, in den nächsten zehn Jahren an Darmkrebs zu erkranken, lag durchschnittlich bei 0,44 Prozent. Diesen Wert erreichten Bürger mit familiärer Vorbelastung aber drei bis 29 Jahre früher. Bei Personen mit einem Verwandten ersten Grades, der schon vor seinem 45. Geburtstag eine Darmkrebs-Diagnose erhalten hatte, waren es 16 Jahre früher.
Darüber hinaus kennt man heute einige vererbbare Risikofaktoren. Beispielhaft ist hier die familiäre adenomatöse Polyposis (FAP) zu nennen. Sie führt zu einem starken Befall des Dickdarms mit Polypen. Ohne chirurgische Behandlung kommt es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu Darmkrebs – die Frage ist nur, wann. Auch andere Regionen, etwa der Magen, die Haut, der Bauchraum sowie der Kieferknochen können betroffen sein.
Ursache der FAP sind Mutationen im APC-Gen (Adenomatous Polyposis of the Colon). Treten bei nahen Verwandten mehrere Fälle von Darmkrebs auf, werden sich Humangenetiker entschließen, mit Zustimmung der Patienten das Erbgut zu untersuchen. Finden sie Mutationen, die auf eine FAP hindeuten, bleibt nur, den Dickdarm entfernen, bevor es zur Entstehung eines Kolonkarzinoms kommt. Heute lassen sich solche Eingriffe schonend und meist unter Erhalt der Stuhlinkontinenz meistern.
FAP ist nicht der einzige vererbbare Risikofaktor. Auch beim hereditären kolorektalen Karzinom ohne Polyposis (HNPCC), dem »Lynch-Syndrom«, kann Darmkrebs schon in jungen Jahren auftreten. Die Erkrankung erklärt rund drei Prozent aller kolorektalen Karzinome und ist damit die häufigste Form erblicher Krebserkrankungen des Dickdarms. Ärzte raten HNPCC-Patienten bereits ab einem Alter von 25 Jahren zu regelmäßigen Koloskopien, zu Gastroskopien und bei Frauen zu gynäkologischen Untersuchungen. Das Lebenszeit-Risiko für Krebserkrankungen hängt jedoch stark davon ab, welche Mutation in einem der betroffenen Gene vorliegt.