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Die Mischung macht‘s

Stress und Entspannung

Stress beflügelt uns zu Höchstleistungen, ohne Erholungsphasen macht er uns jedoch kaputt. Dann drohen neben Erschöpfung bis Burnout auch zahlreiche somatische Krankheiten.
Anna Carolin Antropov
15.07.2022  15:00 Uhr

Ob im Beruf oder Privatleben: Stress ist allgegenwärtig und unser täglicher Begleiter. Wer darüber klagt, erntet meist ein müdes Schulterzucken oder Zustimmung – denn wer ist heute schon nicht gestresst?

Die Stressstudie der Techniker Krankenkasse aus dem Jahr 2021 zeigt tatsächlich, dass 64 Prozent der Menschen in Deutschland manchmal oder häufig gestresst sind. Als Haupttrigger für Stress entpuppten sich vor allem Anforderungen im Beruf beziehungsweise Schule oder Studium sowie hohe Ansprüche an sich selbst. Die ständige Erreichbarkeit und soziale Medien (digitaler Stress) setzen immerhin jeden Vierten unter Druck. Das hinterlässt Spuren: Häufig Gestresste litten im Vergleich zu selten Gestressten deutlich häufiger unter

  • Erschöpfung (80 Prozent versus 13 Prozent)
  • Schlafstörungen (52 Prozent versus 28 Prozent)
  • Kopfschmerzen und Migräne (40 Prozent versus 13 Prozent)
  • Niedergeschlagenheit/ Depression (34 Prozent versus 7 Prozent).

Grund genug, einmal genauer hinzusehen, was Stress überhaupt ist, was er bewirkt und wie wir besser mit ihm umgehen können.

Eine Frage der Wahrnehmung

Der Duden definiert Stress als »erhöhte Beanspruchung, Belastung physischer oder psychischer Art«. Stressor kann ein chemischer, physikalischer, sozialer oder psychischer Stimulus sein - entweder als negativer Reiz (Schmerz, Kälte) oder als entbehrter positiver (Schlafmangel, Hunger). Psychologische Stressmodelle beschäftigen sich damit, welche Faktoren als Stressoren wirken. Nach dem transaktionalen Stressmodell von Lazarus liegt der Schlüssel in der subjektiven Bewertung der Situation. Im Alltag gibt es unzählige Beispiele dafür, wie individuell diese ausfällt. Während einige beim Autofahren entspannen, setzt der Straßenverkehr anderen so stark zu, dass der Puls rast, kalter Schweiß auf der Stirn perlt und der ganze Körper unter Strom steht.

Ob eine Situation als Herausforderung oder Überforderung wahrgenommen wird, hängt von individuellen Faktoren ab, wie biologischen, psychischen und genetischen Dispositionen sowie natürlich immer vom aktuellen Befinden. Prinzipiell kann jede Situation als Stressor wirken, wenn sie herausfordernd ist und die Person nicht auf Anhieb weiß, wie sie damit umgehen soll. Während sogenannter »Eustress« Konzentration und Leistungsfähigkeit steigert, wirkt »Distress« überfordernd und hemmt den Betroffenen bis hin zu völliger Handlungsunfähigkeit. Dank der richtigen Dosis Nervosität erreichen wir also in Prüfungen Höchstleistungen. Nimmt die Angst hingegen überhand, droht schlimmstenfalls ein komplettes Blackout.

Welcher Auslöser auch dahinter steckt: Stress versetzt den Körper in Alarmbereitschaft. Herzfrequenz, Herzminutenvolumen und Blutzucker werden angehoben, die Bronchien erweitern sich und die Durchblutung von Muskeln, Gehirn und Haut nimmt zu. Selbst Blutgerinnung und Lymphozytenzahl steigen an. Das sogenannte Fight-or-Flight-Syndrom ist eine blitzschnelle physiologische Reaktion auf eine Gefahr, um ideal auf Kampf oder Flucht vorzubereiten.

Dabei stehen zwei Stressachsen im Mittelpunkt: Das schnelle sympatho-adreno-medulläre System aus Zentralnervensystem, endokrinem System und vegetativem Nervensystem sowie als zweites System die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HHN-Achse) mit dem zentralen Stresshormon Cortisol. Letzteres erlaubt hormonell die Anpassung bei länger andauernden Reizen. Beide Achsen beeinflussen sich wechselseitig.

Doch zunächst beginnt jede Furchtreaktion im Gehirn. Im Thalamus laufen neue Sinneseindrücke zusammen. Dort liegt zwar nur ein »unscharfes« Bild vor, da die genauere Beurteilung im Cortex stattfindet und Zeit braucht – doch just diese Zeit könnte bei Bedrohung das Leben kosten. Daher kann bereits der Thalamus blitzschnell einen »Alarm« auslösen und notfalls höhere Hirnareale umgehen. Vereinfacht organisiert der sogenannte Mandelkern die Stressreaktion. Er gehört zum limbischen System, erhält seinen Input unter anderem von Thalamus und Cortex und ist für die emotionale Beteiligung verantwortlich.

Der Sympathikus des vegetativen Nervensystems wird aktiviert und Adrenalin und Noradrenalin aus dem Nebennierenmark ins Blut abgegeben. So tritt die oben beschriebene körperliche Reaktion in Sekundenschnelle auf und beeinflusst den Körper von Kopf bis Fuß. Ist die Gefahr vorbei, wird Noradrenalin schnell abgebaut und der Spuk ist vorbei. Hält die Erregung jedoch an, wird weiterhin vermehrt Noradrenalin produziert und die beteiligten Hirnareale erhöhen ihre Aktivität weiter.

Parallel dazu wird in einer Stresssituation der Hypothalamus erregt und damit die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse als zweites Stresssystem aktiviert. Wir erinnern uns: Der Hypothalamus schüttet in der Folge Corticoliberin aus (CRH), das wiederum die Sekretion von Corticotropin (= Adrenocorticotropes Hormon, ACTH) aus dem Hypophysenvorderlappen bewirkt. ACTH wiederum regt die Sekretion von Cortisol aus der Nebennierenrinde an. Negative Feedbackschleifen regulieren die Freisetzung auf allen Ebenen.

Sprechen Menschen vom »Stresshormon«, meinen sie meist Cortisol. Es wird vermehrt bei anhaltendem Stress freigesetzt und erfüllt im Körper viele Funktionen. Es fördert den Proteinabbau und die Gluconeogenese, wirkt entzündungshemmend und dämpft das Schmerzempfinden. Zudem regt Cortisol die Ausschüttung der Katecholamine Dopamin, Noradrenalin und Adrenalin an. Patienten mit einer Nebennierenunterfunktion müssen übrigens teilweise lebenslang Cortisol zuführen, um zu überleben.

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