Stress und Entspannung |
Job, Familie und hohe Anforderungen an sich selbst: Kaum jemand würde wohl von sich behaupten, ein stressfreies Leben zu führen. / Foto: Adobe Stock/studiostoks
Ob im Beruf oder Privatleben: Stress ist allgegenwärtig und unser täglicher Begleiter. Wer darüber klagt, erntet meist ein müdes Schulterzucken oder Zustimmung – denn wer ist heute schon nicht gestresst?
Die Stressstudie der Techniker Krankenkasse aus dem Jahr 2021 zeigt tatsächlich, dass 64 Prozent der Menschen in Deutschland manchmal oder häufig gestresst sind. Als Haupttrigger für Stress entpuppten sich vor allem Anforderungen im Beruf beziehungsweise Schule oder Studium sowie hohe Ansprüche an sich selbst. Die ständige Erreichbarkeit und soziale Medien (digitaler Stress) setzen immerhin jeden Vierten unter Druck. Das hinterlässt Spuren: Häufig Gestresste litten im Vergleich zu selten Gestressten deutlich häufiger unter
Grund genug, einmal genauer hinzusehen, was Stress überhaupt ist, was er bewirkt und wie wir besser mit ihm umgehen können.
Der Duden definiert Stress als »erhöhte Beanspruchung, Belastung physischer oder psychischer Art«. Stressor kann ein chemischer, physikalischer, sozialer oder psychischer Stimulus sein - entweder als negativer Reiz (Schmerz, Kälte) oder als entbehrter positiver (Schlafmangel, Hunger). Psychologische Stressmodelle beschäftigen sich damit, welche Faktoren als Stressoren wirken. Nach dem transaktionalen Stressmodell von Lazarus liegt der Schlüssel in der subjektiven Bewertung der Situation. Im Alltag gibt es unzählige Beispiele dafür, wie individuell diese ausfällt. Während einige beim Autofahren entspannen, setzt der Straßenverkehr anderen so stark zu, dass der Puls rast, kalter Schweiß auf der Stirn perlt und der ganze Körper unter Strom steht.
Ob eine Situation als Herausforderung oder Überforderung wahrgenommen wird, hängt von individuellen Faktoren ab, wie biologischen, psychischen und genetischen Dispositionen sowie natürlich immer vom aktuellen Befinden. Prinzipiell kann jede Situation als Stressor wirken, wenn sie herausfordernd ist und die Person nicht auf Anhieb weiß, wie sie damit umgehen soll. Während sogenannter »Eustress« Konzentration und Leistungsfähigkeit steigert, wirkt »Distress« überfordernd und hemmt den Betroffenen bis hin zu völliger Handlungsunfähigkeit. Dank der richtigen Dosis Nervosität erreichen wir also in Prüfungen Höchstleistungen. Nimmt die Angst hingegen überhand, droht schlimmstenfalls ein komplettes Blackout.
Reize der Umwelt stufen Menschen unmittelbar als irrelevant, positiv oder stresshaft ein. Noch während dieser primären Bewertung wird sofort abgewogen, ob die Situation eine positive Herausforderung darstellt, Beeinträchtigungen drohen oder sogar bereits eingetreten sind. Im zweiten Schritt (sekundäre Bewertung) schätzt die Person dann ab, ob die Ressourcen zur Bewältigung ausreichen oder nicht. Hierzu gehören neben persönlichen Fähigkeiten und dem Selbstvertrauen aus vorangegangen Erfahrungen auch soziale oder materielle Unterstützungsmöglichkeiten. Je geringer die Ressourcen eingeschätzt werden, desto mehr Stress entsteht. Um ihn zu bewältigen, wenden Betroffene verschiedene Coping-Strategien an. Nach Lazarus können sie entweder die Situation ändern (problemorientiertes/instrumentelles Coping) oder ihren Bezug zum Problem korrigieren (emotionsorientiertes/palliatives Coping). Bei Letzterem wird die Situation neu bewertet oder beispielsweise bagatellisierst und dadurch als weniger bedrohlich wahrgenommen.
Welcher Auslöser auch dahinter steckt: Stress versetzt den Körper in Alarmbereitschaft. Herzfrequenz, Herzminutenvolumen und Blutzucker werden angehoben, die Bronchien erweitern sich und die Durchblutung von Muskeln, Gehirn und Haut nimmt zu. Selbst Blutgerinnung und Lymphozytenzahl steigen an. Das sogenannte Fight-or-Flight-Syndrom ist eine blitzschnelle physiologische Reaktion auf eine Gefahr, um ideal auf Kampf oder Flucht vorzubereiten.
Dabei stehen zwei Stressachsen im Mittelpunkt: Das schnelle sympatho-adreno-medulläre System aus Zentralnervensystem, endokrinem System und vegetativem Nervensystem sowie als zweites System die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HHN-Achse) mit dem zentralen Stresshormon Cortisol. Letzteres erlaubt hormonell die Anpassung bei länger andauernden Reizen. Beide Achsen beeinflussen sich wechselseitig.
Doch zunächst beginnt jede Furchtreaktion im Gehirn. Im Thalamus laufen neue Sinneseindrücke zusammen. Dort liegt zwar nur ein »unscharfes« Bild vor, da die genauere Beurteilung im Cortex stattfindet und Zeit braucht – doch just diese Zeit könnte bei Bedrohung das Leben kosten. Daher kann bereits der Thalamus blitzschnell einen »Alarm« auslösen und notfalls höhere Hirnareale umgehen. Vereinfacht organisiert der sogenannte Mandelkern die Stressreaktion. Er gehört zum limbischen System, erhält seinen Input unter anderem von Thalamus und Cortex und ist für die emotionale Beteiligung verantwortlich.
Der Sympathikus des vegetativen Nervensystems wird aktiviert und Adrenalin und Noradrenalin aus dem Nebennierenmark ins Blut abgegeben. So tritt die oben beschriebene körperliche Reaktion in Sekundenschnelle auf und beeinflusst den Körper von Kopf bis Fuß. Ist die Gefahr vorbei, wird Noradrenalin schnell abgebaut und der Spuk ist vorbei. Hält die Erregung jedoch an, wird weiterhin vermehrt Noradrenalin produziert und die beteiligten Hirnareale erhöhen ihre Aktivität weiter.
Parallel dazu wird in einer Stresssituation der Hypothalamus erregt und damit die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse als zweites Stresssystem aktiviert. Wir erinnern uns: Der Hypothalamus schüttet in der Folge Corticoliberin aus (CRH), das wiederum die Sekretion von Corticotropin (= Adrenocorticotropes Hormon, ACTH) aus dem Hypophysenvorderlappen bewirkt. ACTH wiederum regt die Sekretion von Cortisol aus der Nebennierenrinde an. Negative Feedbackschleifen regulieren die Freisetzung auf allen Ebenen.
Sprechen Menschen vom »Stresshormon«, meinen sie meist Cortisol. Es wird vermehrt bei anhaltendem Stress freigesetzt und erfüllt im Körper viele Funktionen. Es fördert den Proteinabbau und die Gluconeogenese, wirkt entzündungshemmend und dämpft das Schmerzempfinden. Zudem regt Cortisol die Ausschüttung der Katecholamine Dopamin, Noradrenalin und Adrenalin an. Patienten mit einer Nebennierenunterfunktion müssen übrigens teilweise lebenslang Cortisol zuführen, um zu überleben.
Biologische Stressmodelle betrachten Stressreaktionen als stereotyp ablaufendes Aktivierungsmuster, das unser Überleben durch Anpassung sichert. Akuter und chronischer Stress äußern sich jedoch unterschiedlich. Hält die Belastung länger an, durchläuft die Entwicklung drei Phasen:
Es liegt auf der Hand, dass der Organismus die Widerstandsphase nur einen begrenzten Zeitraum aufrechthalten kann. Er kann nicht ständig auf Hochtouren laufen, sondern ist auf eine gesunde Mischung von Phasen der Anstrengung und Erholung angewiesen. Wenn anhaltender Stress die Adaptionsfähigkeit des Körpers überfordert, drohen stressassoziierte Erkrankungen. Einerseits konnten Forscher bei dauerhaftem Stress Entzündungen feststellen. Andererseits wird das Immunsystem geschwächt, sodass Wundheilungsstörungen, Infekte oder womöglich gar Krebs begünstigt werden können. Auch der negative Einfluss auf den Stoffwechsel mündet mit einer Gewichtszunahme nicht nur in einem kosmetischen Problem. Neben Herz-Kreislauferkrankungen wie Hypertonie und metabolischen Krankheiten (Typ-2-Diabetes, metabolisches Syndrom) werden auch muskuläre Verspannungen, Hörsturz, erhöhter Augeninnendruck und Ohrensausen mit langfristigem Stress in Zusammenhang gebracht.
Bei chronischer Aktivierung der Stressachse leidet zudem die Produktion der Sexualhormone Testosteron und Estrogen. Das führt mitunter zu Potenzstörungen, Unlust und Libidostörungen sowie Zyklusstörungen oder unerfülltem Kinderwunsch.
Wir können also nicht ganz auf Stress verzichten. Doch es gibt Wege, besser mit ihm umzugehen. Genügend Schlaf, eine ausgewogene Ernährung und Bewegung bilden die Basis. Einige Menschen wirken von Natur aus besonders widerstandsfähig und resilient. Doch jeder kann lernen, besser mit schwierigen Situationen umzugehen. Grundsätzlich kann beispielsweise mit kognitiven Techniken an der Bewertung von Situationen gearbeitet werden. Aber auch Ressourcenstärkung ist ein wichtiges Feld. Sind die eigenen Stressoren bekannt, können einige vorhersehbar fordernde Situationen womöglich bereits im Voraus umgangen werden oder durch Unterstützung abgefedert werden. Experten sprechen von Coping-Strategien.
Gängig ist die Einteilung in problemfokussiertes oder emotionsfokussiertes Coping. Aber auch eine Unterscheidung je nach Zeitpunkt des Copings (proaktiv, also vorbeugend oder reaktiv) oder nach Aktivität (aktive Auseinandersetzung gegenüber Umgehung eines Problems) ist möglich. Aktives Coping wäre beispielsweise die Teilnahme an einem Erste-Hilfe-Kurs, oder nach einem schwierigen Termin eine Freundin zu treffen, wenn schon vorher klar ist, dass man danach ein offenes Ohr braucht.
Die positive Neubewertung einer Situation wird als »Reframing« bezeichnet. Dabei wird beispielsweise eine Krebserkrankung als Weckruf verstanden, sich auf die wichtigen Dinge im Leben zu konzentrieren. Auch Humor zählt zu den emotionalen Coping-Strategien, um Distanz zu einer Situation zu gewinnen. Doch Achtung, einige Coping-Strategien entpuppen sich als dysfunktional. Dazu zählen beispielsweise Alkohol und Drogen, da sie klar gesundheitsschädlich sind, ohne die Emotionsregulation zu verbessern. Auch Resignation ist – im Gegensatz zu aktiver Akzeptanz einer schwierigen Situation – mit negativer emotionaler Gesundheit verbunden.
Versagen Coping-Strategien, hilft das Ausprobieren eines anderen Bewältigungsmusters. Emotionales Stressessen ist beispielsweise eine weit verbreitete sekundäre Coping-Strategie, die ebenfalls negative Folgen nach sich ziehen kann. In einer Studie konnte gezeigt werden, dass Teilnehmer weniger aus Frust essen, wenn sie zunächst mit positiver Neubewertung ihre Emotionen regulieren, statt sie zu unterdrücken. So individuell die Stressauslöser sind, so unterschiedlich sind also auch Stellschrauben zur besseren Bewältigung oder Stressprophylaxe. Nicht jede Maßnahme passt zu jedem Menschen, jeder hat persönliche Präferenzen und entwickelt einen ganz eigenen Stil. Im Idealfall kennt man viele verschiedene Coping-Strategien, um je nach Situation diejenige anzuwenden, mit der der Stress am besten bewältigt wird.
Im schlechtesten Fall ruft eine langandauernde Stressbelastung psychiatrische und somatische Folgeerkrankungen hervor. Streng genommen ist das Burnout-Syndrom keine eigenständige Krankheit. Experten verstehen Burnout als Prozess, bei der die anhaltende Belastung zunehmend zu einer Belastungsinsuffizienz führt. Im Vordergrund steht meist eine Depression. Überschneidungen mit Angst- und/oder Schlafstörung, Abhängigkeiten und weiteren psychiatrischen Erkrankungen sind häufig, sodass die Symptome individuell sehr unterschiedlich ausfallen.
Neben psychischen Symptomen wie Reizbarkeit, Aggressivität, Erschöpfung und emotionaler Labilität äußert sich ein Burnout körperlich durch anhaltende Müdigkeit, Infektanfälligkeit und Schmerzen von Nacken, Kopf oder Bauch. Zusätzlich können sich viele Patienten nur schwer konzentrieren und leiden unter Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen. Außenstehende bemerken schließlich eine Leistungsminderung bei erhöhter oder verminderter Aktivität, auch Fehlzeiten in der Arbeit sind typisch. Sie können bis zu völliger Arbeitsunfähigkeit führen.
In der Therapie schließen Ärzte in der Regel zunächst internistische, endokrine oder auch medikamentöse Ursachen aus. Um Antidepressiva kommen jedoch die wenigsten Patienten herum. Haben sie Vorbehalte, stellt auch ein hochdosierter Johanniskrautextrakt eine evidenzbasierte Therapieoption dar. Die stimmungsaufhellende Wirkung tritt in der Regel rasch auf, während die Abnahme von Müdigkeit und Erschöpfung meist länger auf sich warten lässt. Je nach Symptomkomplex unterscheiden Ärzte verschiedene Stadien. Betroffene können sich nach längerer Erholungsphase durchaus noch von einem Anfangsstadium des Burnout erholen, sodass Stadium 1 als reversibel gilt. Dafür ist es jedoch ganz entscheidend, dass Patienten rechtzeitig Hilfe erhalten.
Foto: Adobe Stock/New Africa
Die Corona-Krise schürte zahlreiche Ängste sowohl um die eigene Gesundheit, das Wohl von Familie und Freunden als auch um den Arbeitsplatz oder gar die wirtschaftliche Existenz. Als »Realängste« werden diese zwar zunächst nicht als krankhaft eingestuft. Sie können jedoch bestehende psychische Erkrankungen verschlimmern oder ihre Entstehung fördern. Insbesondere die Kontaktbeschränkungen und Einschränkungen im Lockdown konnten neben Vereinsamung auch depressive Symptome sowie Antriebsschwäche oder Schlafstörungen hervorrufen.
Eine Befragung in Berlin ergab, dass der erste Lockdown zu einem Schockeffekt führte, während ein Jahr später beim zweiten Lockdown ein Ermüdungseffekt auftrat. Die Folge: Die Berliner fühlten sich 2021 deutlich gestresster, ängstlicher und depressiver als 2020. Das bestätigt auch die TK-Stressstudie. Jeder zweite Befragte gab an, das Leben sei seit Beginn der Pandemie stressiger geworden. Familien mit Kindern und Arbeitnehmer im Homeoffice fühlten sich besonders häufig belastet.
Nicht wenige suchen bei Stress zunächst in der Apotheke Unterstützung, um leistungsfähig zu bleiben oder wieder mehr Energie zu haben. Die Selbstmedikation hat viel zu bieten: Neben Nahrungsergänzungsmitteln wie Präparate mit B-Vitaminen stehen homöopathische Arzneimittel (zum Beispiel Neurodoron®, Neurexan®, Calmvalera®) und zahlreiche Phytopharmaka zur Verfügung.
Einige Präparate mit beispielsweise Pflanzenextrakten aus Lavendel, Baldrian, Hopfenzapfen, Melissenblätter und/oder Passionsblume wirken beruhigend, wenn Unruhe, schlechter Schlaf und ein Gedankenkarussell im Vordergrund stehen. Das in Lasea® enthaltene Lavendelöl konnte seine anxiolytische, antidepressive und sedierende Wirkung beispielsweise in tierexperimentellen Studien nachweisen. Sie beruht wohl auf einer Beeinflussung der GABA-Rezeptoren. Stehen Erschöpfung und Müdigkeit im Vordergrund, greifen Patienten gerne zu Rosenwurz (Rhodiolan®, Vitango®, Rhodiologes®). Die Zulassung beruht auf langjähriger traditioneller Verwendung.
Aber auch ein Mikronährstoffmangel kann Müdigkeit, Leistungsabfall und Gereiztheit hervorrufen. Dort greift beispielsweise das Präparat Aminoplus® Burnout an. Eine randomisierte, placebo-kontrollierte Doppelblind-Studie konnte nachweisen, dass der Komplex aus Aminosäuren und Vitaminen den subjektiv wahrgenommenen Stress wirksam reduziert. Dabei waren Betroffene in ärztlicher, multimodaler Therapie und das Diätmanagement eine von verschiedenen Therapiesäulen.
Passend ausgewählt können verschiedene Präparate also durchaus eine wirksame Unterstützung darstellen. Sie sind jedoch als Überbrückungshilfe oder Krücke zu sehen, nicht als Lösung. Patienten sollte in der Beratung also dringend ans Herz gelegt werden, dass es mit Einnahme einer Tablette oder der symptomatischen Behandlung von stressbedingten Beschwerden nicht getan ist, sondern sie langfristig Stressfaktoren ausschalten und Coping-Strategien entwickeln und etablieren müssen. Gelingt ihnen das nicht, sollten sie lieber zu früh als zu spät Hilfe suchen. Erster Ansprechpartner ist in der Regel der Hausarzt.