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Alkoholkonsum

Suchtgefahr individuell

Ganz gleich, ob Karneval, Schützenfest oder Kirmes – bei vielen Feiern ist der »Spaß an der Freud« mit einem üppigen Alkoholkonsum verbunden. Danach stellt sich oft ein schlechtes Gewissen ein. Schließlich sind große Alkohol­mengen ungesund, und nicht zuletzt kann Alkohol süchtig ­machen. Wo liegen die Gefahren, alkoholkrank zu werden?
Annette Immel-Sehr
12.02.2019  17:42 Uhr

Das Trinken von Alkohol ist in Deutschland und vielen anderen Ländern gesellschaftlich akzeptiert. Dennoch ist Alkohol zweifellos ein Suchtmittel. Die Ausnahmestellung alkoholischer Getränke beruht vor allem auf ihrer Jahrtausendealten Tradition als Nahrungs-, Genuss- und Rauschmittel.

Die Beliebtheit von Bier, Wein und Co. geht vor allem auf die meist als angenehm empfundene Wirkung des mäßigen Alkoholkonsums zurück. Sie ist in der Regel anregend, stimmungs­steigernd und hemmungslösend. In höheren Dosierungen kann die gelöste Stimmung jedoch abrupt in Gereiztheit, Aggression und Gewalt umschlagen. Bei weiter ansteigendem Blut­alkoholspiegel sind Wahrnehmung, Koordinationsfähigkeit und Sprache beeinträchtigt. Schließlich stellen sich Müdigkeit und Benommenheit ein.

Alkohol kann eine psychische und körperliche Abhängigkeit erzeugen. Mit der Zeit benötigt der Konsument immer höhere Dosen, um denselben Effekt zu erzielen. Dieses Phänomen bezeichnen Pharmakologen als Toleranz­ent­wick­lung. Zur körperlichen Abhängig­keit gehören­ neben der Toleranz­entwicklung Entzugsbeschwerden beim Absetzen. Ausdruck der psychischen Abhängigkeit sind das heftige Verlangen nach dem Suchtmittel sowie der Kontrollverlust über die Menge und den Zeitpunkt des Konsums. Alkoholismus ist eine anerkannte­ Krankheit, deren Behandlungskosten von den Krankenkassen beziehungs­weise der Rentenversicherung getragen werden.

Alkoholabhängigkeit stellt sich nicht plötzlich nach dem Karnevalswochenende ein, sondern ist die Folge von übermäßigem Alkoholkonsum über einen­ langen Zeitraum. Dabei fällt auf, dass manche Menschen suchtan­fälliger sind als andere. Lange Zeit galten­ psychische und soziale Faktoren als die bedeutendsten Risiken dafür, dass Menschen Alkoholiker werden – etwa Schicksalsschläge oder »schlechte« Freunde. Doch die Tatsache, dass Alkoholsucht ebenso wie andere Sucht­erkrankungen innerhalb einer Familie oft gehäuft auftreten, deutet darauf hin, dass auch die Gene sowie das häusliche­ Umfeld einen Einfluss haben.

Genetik und Epigenetik

Um die Bedeutung unterschied­licher Faktoren zu klären, wertete eine US-amerikanische Forschergruppe zahl­reiche schwedische Patientenregister aus und prüfte vor allem Familienkons­tellationen, bei denen Kinder nicht von den leiblichen Eltern aufgezogen wurden. Das Ergebnis: Das Risiko, dass Adoptierte später alkoholkrank werden, war erhöht, sowohl wenn ein leiblicher Elternteil als auch wenn die Adoptiv­eltern alkoholsüchtig waren. Dabei schlug die genetische Veranlagung aller­dings mehr zu Buche: Sie hatte einen­ doppelt so großen Einfluss wie das häusliche Umfeld in der Adoptiv­familie. Auch andere Adoptionsstudien sowie Zwillingsstudien ­haben die genetische Disposition bestätigt.

Forscher gehen heute davon aus, dass 50 bis 60 Prozent der Suchtneigung für Alkohol auf Veranlagung beruht. Tatsächlich wurden Genvarianten entdeckt, die Menschen anfälliger für Alkoholismus und andere Süchte machen. Dabei gibt es allerdings nicht das eine »Sucht-Gen«. Vielmehr spielen zahlreiche unterschiedliche Gene zusammen und beeinflussen das individuelle Suchtrisiko. Das können zum Beispiel Gene sein, die die Wirkung des Suchtmittels im Gehirn oder seinen Metabolismus variieren, aber auch Gene, die bestimmte Persönlichkeitszüge, wie zum Beispiel hohe Verletzlichkeit oder erhöhte Risiko­bereitschaft festlegen.

Neben den in der DNA verankerten Risikofaktoren, die von einer Genera­tion auf die nächste übertragen werden­, können auch epigenetische Veränderungen die Suchtanfälligeit beeinflussen. Die Epigenetik beschreibt mole­kulare Vorgänge, die die Gen­aktivität steuern, ohne jedoch die DNA zu verändern. Epigenetische Veränderungen werden durch äußere Einflüsse wie den Lebensstil angestoßen. Sie können wie die Gene an die Nach­kommen vererbt werden. Auf diese Weise kann eine Suchttendenz, die jemand in seinem Leben­ neu erworben hat, an die Kinder weitergegeben werden.

Keine Lösung bei seelischen Leiden

Daneben erhöhen verschiedene psychia­trische Erkrankungen das Risiko für eine Alkoholsucht. So empfinden beispielsweise Menschen, die an einer Depression oder sozialen Phobie leiden, die Wirkung des Alkohols als Linderung. Somit liegt nahe, dass sie vermehrt und regelmäßig Hilfe im Alkohol suchen. Im Übrigen ist auch die Veranlagung für psychiatrische Erkrankungen genetisch festgelegt.

Doch neben all der Genetik spielt zweifellos auch das soziale Umfeld in der Ausbildung einer Alkoholsucht eine bedeutende Rolle – angefangen von der Verfügbarkeit des Alkohols bis zur Einstellung der Familie. Gehört ein hoher Alkoholkonsum bei Eltern beziehungsweise Erziehungsberechtigten zum Alltag, liegt es nahe, dass heranwachsende Kinder Zugang zu Alkoholika haben und auftretende Probleme ebenfalls auf diese Art »lösen« ­werden. Wenn das regelmäßige ­Trinken von alkoholischen Getränken im Freundeskreis normal ist und nicht auf Kritik stößt, ist ein Jugend­licher vermehrt gefährdet, einen hohen ­Konsum zu entwickeln. Eine desolate Fami­lienstruktur, mangelnde Fürsorge, Gewalt und Missbrauch können dazu führen, dass Betroffene später nicht verarbeitete Kindheitstraumen durch Alkohol verdrängen.

In vielen Biographien von Alkoholkranken finden sich gleich mehrere der hier beschriebenen Risiken. Dies legt den Schluss nahe, dass Alkoholismus eine multifaktorielle Erkrankung ist.

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