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Amyotrophe Lateralsklerose

Ursache für ALS noch unbekannt

Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine Erkrankung des Nervensystems, die die Funktion der Muskulatur fortwährend beeinträchtigt. Ihre Ursache ist bislang unbekannt und die Therapiemöglichkeiten daher begrenzt.
Barbara Erbe
14.11.2022  16:00 Uhr

Einem breiteren Publikum wurde die Nervenkrankheit ALS im Sommer 2014 bekannt, als sich weltweit viele Menschen – darunter auch etliche Prominente – im Rahmen der »Ice Bucket Challenge« eiskaltes Wasser über den Kopf schütteten. Sie taten es, um durch die öffentlichkeitswirksame Mutprobe auf die schwere Nervenkrankheit aufmerksam zu machen und Spenden für die US-amerikanische ALS-Hilfsorganisation ALSA zu sammeln, was ihnen auch gelang.

Das Wort Amyotroph kommt aus dem Griechischen und bedeutet »Verlust von Muskelmasse«. Lateral wiederum kommt aus dem Lateinischen, heißt »seitlich« und bezieht sich auf die beiderseits verlaufenden Nervenbahnen im Rückenmark. »Sklerose« schließlich ist das lateinische Wort für »Verhärtung«. Die Bezeichnung ALS weist damit darauf hin, dass es bei der Krankheit zu einer Rückbildung der motorischen Nervenzellen (Motoneurone) kommt.

Die Erkrankung ALS ist seit mehr als 100 Jahren bekannt. Ihre Ursachen sind – mit Ausnahme der erblichen Form, die nur um die 5 Prozent der Fälle ausmacht – noch immer nicht bekannt. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) erkranken pro Jahr etwa ein bis drei von 100.000 Personen, damit ist ALS die häufigste Erkrankung des motorischen Nervensystems (Motoneuronenerkrankung) mit Beginn im Erwachsenenalter.

Unterschiedliches Krankheitstempo

Betroffene erkranken meist zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr, nur selten sind jüngere Erwachsene betroffen. Männer erwischt es etwas häufiger als Frauen. Insgesamt scheint die Häufigkeit der ALS weltweit etwas zuzunehmen. Wie schnell die Krankheit voranschreitet, ist individuell sehr verschieden, die Lebenserwartung ist aber bei allen verkürzt.

Erste Symptome können an unterschiedlichen Stellen auftreten. Manchmal zeigen sich Muskelschwund und -schwäche zunächst nur in der Hand- und Unterarmmuskulatur einer Körperseite, bevor sie sich auf die Gegenseite und auf die Beine ausdehnen. Seltener ist ein Beginn in der Unterschenkel- und Fußmuskulatur oder in der Oberarm- und Schultermuskulatur. Ein Teil der Erkrankten hat zunächst Schwierigkeiten im Bereich der Sprech-, Kau- und Schluckmuskulatur (Bulbärparalyse). Sehr selten äußern sich die ersten Symptome in Form von spastischen Lähmungen. Anders als die Muskelfunktion bleiben die Empfindung für Berührung, Schmerz und Temperatur, das Sehen, Hören, Riechen und Schmecken aber ebenso intakt wie die Funktionen von Blase und Darm.

Schon in den Frühstadien der ALS erleben Betroffene häufig unwillkürliche Muskelzuckungen (Faszikulationen) und schmerzhafte Muskelkrämpfe. In der Regel schreitet die Krankheit über Jahre gleichmäßig langsam fort, dehnt sich auf weitere Körperregionen aus und führt im Laufe der Zeit zu einer Schwächung der Atmung. In den allermeisten Fällen ist ASL nicht erblich bedingt, was für die Kinder der Patienten eine Entlastung sein kann. Die Ursache der häufigen, sporadisch auftretenden Form ist weitgehend unbekannt.

In jüngster Zeit konnte aber bei einem Teil der Familien mit der erblichen Form der ALS der genetische Defekt auf dem Chromosom 21 nachgewiesen und genauer charakterisiert werden: Es handelt sich dabei um eine Mutation im Gen der Superoxiddismutase 1 (SOD1), einem Enzym, das für die Entgiftung bestimmter Stoffwechselprodukte verantwortlich ist. Diese Mutation liegt – nach einem Bericht der Muskelgesellschaft Schweiz – weltweit nur bei etwa 10 Prozent der familiären ALS-Patienten vor. Möglicherweise stellt diese Mutation dennoch einen wichtigen Zugang zum Verständnis der weit häufigeren sporadischen ALS dar.

Die Diagnose ALS wird von einem Neurologen oder einer Neurologin gestellt, die mittels einer klinischen Untersuchung vor allem Muskulatur, Sprechen, Schluckakt und Atemfunktion beurteilt. Aber auch andere Funktionen des Nervensystems müssen überprüft werden, um Fehldiagnosen zu vermeiden: Wichtige Zusatzuntersuchungen sind die Messung elektrischer Aktivität in ausgewählten Muskeln (Elektromyographie, EMG), Untersuchungen der Nervenleitgeschwindigkeit sowie des Blutes, des Urins und auch des Nervenwassers (Liquor). Bildgebende Untersuchungen (Kernspintomografie oder Röntgenaufnahmen) können dazu beitragen, andere Krankheiten zu erkennen, die der ALS zwar ähnlich, aber unter Umständen besser behandelbar sind.

Lebensverlängernde Medikamente

Da die Ursache der ALS noch nicht bekannt ist, gebe es auch noch keine Behandlung, die die Krankheit zum Stillstand bringen oder heilen kann, berichtet Joachim Sproß, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke (DGM). »Was es gibt, sind zum einen Medikamente, die den Krankheitsverlauf aufschieben und damit die Lebenserwartung verlängern, und symptomatische Therapien, die den Betroffenen das Leben etwas leichter machen.«

So schwächt der Wirkstoff Riluzol die zellschädigenden Wirkungen des Neurotransmitters Glutamat ab. Riluzol blockiert unter anderem spannungsabhängige Natriumkanäle, was zu einer verminderten Freisetzung von Glutamat und einer reduzierten Exzitotoxizität führt. Andere Medikamente befinden sich in unterschiedlichen Phasen der klinischen Prüfung. Weltweit werde intensiv an der Erforschung der Heilungsmöglichkeiten von ALS gearbeitet, betont Sproß.

2017 wurde in den USA das Medikament Edaravon (Handelsname Radicava®) zugelassen, nachdem es bereits seit 2015 in Japan und Südkorea im Einsatz war. Edaravon soll freie Radikale neutralisieren, die mit Nervenschäden bei Patienten mit ALS in Verbindung gebracht werden. In Europa ist das Medikament nicht verfügbar, ein Zulassungsantrag bei der EMA wurde 2019 zurückgezogen. Eine deutsche Studie kam Anfang dieses Jahres zu dem Ergebnis, dass sich über die Dauer von einem Jahr – entgegen früheren positiven Kurzzeitergebnissen – kein klinischer Nutzen belegen lässt. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) sieht derzeit keine Rationale, intravenöses Edaravon einzusetzen. Man setze Hoffnungen auf Edaravon in oraler Verabreichung – eine orale Radicava-Formulierung wurde im Mai 2022 in den USA zugelassen.

Symptome lindern

Über die krankheitsaufschiebenden Medikamente hinaus gibt es eine breite Palette von Behandlungsmaßnahmen, die die Symptome von ALS lindern. So können Medikamente beispielsweise helfen, den spastischen Muskeltonus zu vermindern, Muskelkrämpfe zu lindern oder auch die Speichelsekretion zu verbessern. Eine physiotherapeutische Behandlung wiederum kann Atmung, Gleichgewicht, Bewegungsabläufe und die Beweglichkeit verbessern – und bei Bedarf Hilfsmittel wie etwa Unterschenkelschienen, Rollatoren oder Halskragen abstimmen. Mithilfe der ergotherapeutischen Behandlung wiederum können Hilfsmittel für alltägliche Aktivitäten wie Körperpflege, Schreiben, Kommunikation, Nahrungsaufnahme oder Mobilität angepasst werden.

Ziel der logopädischen Behandlung ist es, durch gezielte Übungen die Sprech- und Schluckmuskulatur zu erhalten. Bei fortschreitenden Atemschwierigkeiten schließlich kann eine zeitweise Atemunterstützung maßgeblich zur Erhaltung der Lebensqualität beitragen. So kann eine nächtliche Atemunterstützung zu wesentlich besserem Schlaf führen und die Belüftung der Lungen verbessern. Die Auswahl und Anpassung entsprechender Atemhilfsgeräte übernehmen üblicherweise Pneumologen. Auf die Dauer ist die Behandlung in einer interdisziplinären Spezialambulanz sinnvoll, denn sie kann eine ausreichende Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln, aber auch Sozialberatung gewährleisten und auch dafür sorgen, dass beispielsweise Depressionen bei ALS-Patienten angemessen mit Antidepressiva behandelt werden.

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