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Arzneimittel

Verstärkter Fehlgebrauch in der Pandemie

Die vergangenen Pandemiejahre waren für viele Menschen eine große Belastung. Da ist es nicht verwunderlich, dass verstärkt Suchtmittel konsumiert und auch Arzneimittel missbräuchlich eingesetzt wurden. Apothekerin Grit Spading erklärte bei einem Online-Vortrag der Apothekerkammer Berlin, wie das Apothekenteam einen Arzneimittelfehlgebrauch erkennen kann.
Verena Schmidt
24.10.2022  09:00 Uhr
Verstärkter Fehlgebrauch in der Pandemie

Zu Beginn der Pandemie waren die Menschen noch optimistisch: Der erste Lockdown im März und April 2020 wird wohl schnell vorübergehen und dann wird alles wieder normal sein, so zumindest die Hoffnung. »Viele haben die Zeit genutzt, um zur Ruhe zu kommen und sich mit sich selbst zu beschäftigen. Es wurde gesund gekocht, Sport getrieben und generell wurden weniger Suchtmittel konsumiert«, berichtete Spading bei einem virtuellen Fortbildungs-Vortrag der Apothekerkammer Berlin. Dieser fand anlässlich der Awareness-Woche in Berlin statt, einer Aktionswoche, die die Apothekerkammer Berlin gemeinsam mit der Fachstelle für Suchtprävention und der Ärztekammer zum Thema »Verantwortungsvoller Umgang mit Medikamenten« ausgerichtet hat.

Doch je länger die Pandemie andauerte, desto belastender wurde die Situation für viele Menschen. Die weiteren Lockdowns seien für viele große Stressfaktoren gewesen und bedeuteten eine Angstsituation, die Ohnmachtsgefühle auslöst, so Spading, die auch Landespharmazierätin in Schleswig-Holstein ist. Durch Konsum, beispielsweise von Alkohol, Drogen oder Arzneimitteln, hätten dann viele versucht, diese Gefühle zu regulieren. Dazu kommt: »Viele Menschen saßen zum ersten Mal im Homeoffice allein zu Hause. Die soziale Kontrolle durch das Umfeld war weg, die Hemmschwelle herabgesetzt. Da konnte man sich schon mittags das erste Glas Wein einschenken, ohne dass es jemand mitbekommt«, sagte Spading. Soziale Isolation, Angst vor Krankheit, Existenzsorgen und keine Möglichkeit, sich abzulenken, hätten dazu geführt, dass das Bedürfnis nach einem Rausch gesteigert wurde.

Anlaufstelle Apotheke

Die Apotheken waren in der Pandemie immer durchgängig für alle geöffnet. »Die Apotheke war ein Anlaufpunkt für viele Menschen, um soziale Kontakte zum Personal und zu anderen Kunden zu erleben«, so Spading. Eine Aufgabe des Apothekenteams sei es dabei auch immer gewesen, Arzneimittelfehlgebrauch zu erkennen und zu verhindern. »Leider erschwert das Masketragen die Kommunikation«, schränkte die Apothekerin ein. Emotionen seien schwieriger zu erkennen, zudem schluckten Plexiglasscheiben in der Offizin Schall und erschwerten die Akustik. »Eine vertrauliche Beratung ist dann oft kaum möglich.« Die Apothekerin empfahl daher, den Beratungsraum oder die Beratungsecke häufiger zu nutzen. Bei der Kommunikation solle man verstärkt auf Augen und Stirn achten und mit einer freundlich-warmen Stimme sprechen.

Weiter ging Spading auf verschiedene Arzneimittel ein, die häufig falsch oder missbräuchlich verwendet werden. Das Amphetamin-artig wirkende Methylphenidat zum Beispiel hat eine leicht ZNS-stimulierende Wirkung, wodurch eine missbräuchliche Verwendung möglich ist. Durch Freisetzung von Dopamin sind Effekte ähnlich wie bei der Anwendung von Kokain möglich – es kommt zu einem »High«, Euphorie und erhöhter Leistungsfähigkeit. Das gilt vor allem bei parenteraler oder intranasaler Applikation – entscheidend ist die Anflutungsgeschwindigkeit. Eine Sucht im engeren Sinne mit Toleranzentwicklung, Suchtdruck (Craving) und Entzugserscheinungen erzeugt Methylphenidat jedoch nicht.

Eine Substanz, bei der kaum jemand an Missbrauch denkt, ist das Antiepileptikum Pregabalin. Es hat eine GABA-ähnliche Wirkung und wird auch bei neuropathischen Schmerzen und generalisierten Angststörungen eingesetzt. Die maximale Tagesdosis beträgt 600 mg, in der Drogenszene seien laut Spading Tagesdosen von bis zu 7500 mg keine Seltenheit. Pregabalin wird zudem auch als Booster für andere Drogen eingesetzt.

Aber nicht nur Rx-Arzneimittel, auch rezeptfreie Wirkstoffe haben mitunter ein hohes Missbrauchspotenzial. So könnten etwa H1-Antihistaminika wie Doxylamin und Diphenhydramin in hohen Dosen Rauschzustände mit Halluzinationen und Wahnvorstellungen erzeugen, sagte Spading. Vor allem bei Jugendlichen, die in der Apotheke nach einem Schlafmittel fragen, sollten PTA oder Apotheker aufhorchen. »Mitunter haben diese verschiedene Substanzen eingenommen und brauchen dann etwas, um »runterzukommen.«

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