Von Nikotin bis Nowitschok |
Nikotin ist wohl eines der am häufigsten angewandten Nervengifte. Kleine Mengen wirken aktivierend auf das Nervensystem, höhere eher beruhigend bis lähmend. / Foto: Getty Images/BillionPhotos.com
Wo Nervengifte, auch Neurotoxine genannt, genau wirken, ist verschieden: Sie können an der terminalen Membran des Sender-Neurons (Präsynapse), zwischen Sender- und Empfänger-Neuron (im synaptischen Spalt) oder an der Membran der Empfängerzelle (Postsynapse) angreifen. Auch lösen Nervengifte unterschiedliche Reaktionen aus. Manche binden statt des eigentlichen Neurotransmitters etwa an die Rezeptoren der Postsynapse. Andere verhindern, dass die Neurotransmitter den synaptischen Spalt verlassen können, etwa indem sie das Enzym Acetylcholinesterase blockieren, das den Neurotransmitter Acetylcholin abbaut.
Neurotoxine lassen sich nach ihrem Entstehungsort in zwei Kategorien einteilen. Exogene Neurotoxine nimmt der Mensch aus der Umwelt auf, beispielsweise über einen giftigen Pilz. Auch einige Schwermetalle wie Blei, Cadmium, Quecksilber und Thallium zählen dazu. Einige exogene Neurotoxine werden in der Medizin, als chemische Waffen, Suchtmittel oder Insektizide eingesetzt.
Endogene Neurotoxine stellt der Körper selbst her. Ein Beispiel: Normalerweise agiert Glutamat als Neurotransmitter. Wenn der Körper zu viel davon herstellt, kann es zu einer Überaktivierung von Glutamatrezeptoren auf den Nervenzellen kommen. Dadurch kann die Calciumkonzentration in der Nervenzelle so stark ansteigen, dass die Zelle den programmierten Zelltod einleitet und abstirbt. Diesen Tod einer Nervenzelle durch exzessive und prolongierte Aktivierung der Rezeptoren nennt man Excitotoxizität.
Lebewesen stellen Nervengifte aus ganz unterschiedlichen Gründen her. Giftschlangen oder -spinnen etwa machen ihre Beute mit einem Neurotoxin bewegungsunfähig oder töten sie direkt. Einige Pilze, Pflanzen und auch manche Tiere, vor allem Insekten, schützen sich mit Gift vor Fressfeinden.
Latrotoxine sind Neurotoxine, mit denen die Spinne Schwarze Witwe ihre Beute immobilisiert oder tötet. Alpha-Latrotoxin, eines der sieben Latrotoxine aus dem Giftcocktail der Spinne, wirkt bei Menschen toxisch. Es bindet an präsynaptische Rezeptoren, es bleibt anschließend selbst in der Membran und formt kationenspezifische Kanäle. Das initiiert den Einstrom von Calcium in die Zelle und eine massive Ausschüttung von Neurotransmittern. Die Folge sind Krämpfe. Zudem kann Alpha-Latrotoxin auch calciumkanalunabhängig über andere Rezeptoren auf die Freisetzung von Neurotransmittern wirken.
Obwohl die toxische Wirkung dieser und anderer Neurotoxine seit Jahrhunderten bekannt ist, kennt man die genauen Mechanismen und Strukturen der Moleküle nicht oder nur grob. Professor Christos Gatsogiannis von der Universität Münster ist es nun erstmals gelungen, die Struktur von Latrotoxin vor der Bindung an die Nervenzelle aufzuklären. Diese Erkenntnis hilft mit, ein effektives Gegengift zu entwickeln oder wie im Falle von insektenspezifischen Neurotoxinen durch deren Nachahmung neue Schädlingsbekämpfungsmittel herzustellen.