Was Antikörper leisten |
Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen tragen ein höheres Risiko als Gesunde, schwer an Covid-19 zu erkranken. / Foto: Adobe Stock / B. BOISSONNET / BSIP
Das Immunsystem antwortet auf eindringende Krankheitserreger und potenziell schädliche Stoffe unter anderem mit der Bildung von Antikörpern. Diese binden an Antigene auf der Oberfläche des Eindringlings, markieren ihn damit, locken Abwehrzellen an und machen ihn schließlich unschädlich. Bis der Körper bei einer Infektion Antikörper bildet, kann es je nach Erreger und individueller Situation einige Wochen dauern. Auch nach einer Impfung benötigt es eine gewisse Zeit, bis ausreichend Antikörper gebildet sind. Das heißt, der Organismus ist noch nicht geschützt, wenn sich ein Mensch kurz nach der Impfung infiziert. Der frisch Geimpfte unterscheidet sich dann kaum vom nicht Geimpften – beide sind dem Virus schutzlos ausgeliefert.
In einem solchen Fall kann es sinnvoll sein, Antikörper zu verabreichen, um den Betroffenen vor einer schweren Erkrankung zu schützen. Dies ist das Prinzip der passiven Immunisierung, wie sie zum Beispiel bei Verdacht auf eine Tetanus-, Tollwut- oder Hepatitis-B-Infektion angewendet wird. Antikörper können aus dem Blut von Menschen oder Tieren gewonnen werden, die durch Impfung gegen die Krankheit immun sind oder sie selber überstanden haben. Heutzutage werden sie häufig von Immunzelllinien produziert (monoklonale Antikörper).
Als zu Beginn der Corona-Pandemie noch keine Impfstoffe und Medikamente zur Verfügung standen, lag es nahe, auf die Erfahrungen mit passiver Immunisierung zurückzugreifen und den Einsatz von Antikörpern gegen SARS-CoV-2 zu versuchen. Der breiten Öffentlichkeit wurde dieser Therapieansatz bekannt, als der frühere US-Präsident Donald Trump an Covid-19 erkrankte. Ein »Antikörper-Cocktail« habe ihn schnell wieder auf die Beine gebracht, hieß es in der Presse. Die Ärzte von Trump hatten ihm unter anderem ein Gemisch aus den beiden synthetisch hergestellten Antikörpern Casirivimab und Imdevimab gegeben. Zum Zeitpunkt von Trumps Erkrankung waren diese virusneutralisierenden Antikörper noch im Entwicklungsstadium.
Um diese Antikörper herzustellen, hatten Wissenschaftler die Antikörper im Blut von Menschen, die von Covid-19 genesen waren, analysiert und daraus einen »Bauplan« für die biotechnologische Produktion erstellt. Mittlerweile werden Casirivimab und Imdevimab von der Firma Regeneron in großem Maßstab hergestellt. Die Kombination beider Antikörper ist in der Europäischen Union unter dem Namen Ronapreve® zugelassen. In Deutschland wird das Medikament derzeit nicht über den pharmazeutischen Großhandel vertrieben, sondern vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) unter dem Namen Regn-CoV2 bereitgestellt. Weiter sind aktuell in Deutschland die monoklonalen Antikörper Regdanvimab (Regkirona®) und Tocilizumab (RoActemra®) zur Behandlung von Covid-19 zugelassen. Seit Ende Januar 2022 ist Sotrovimab (Xevudy®) in Deutschland verfügbar und vermutlich folgt demnächst noch ein weiteres Antikörperpräparat: Aktuell befindet sich die Kombination von Tixgevimab und Cilgavimab im Rolling-Review-Verfahren der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA).
Die Kombination Casirivimab/Imdevimab ebenso wie Regdanvimab und Sotrovimab sind zur Behandlung von erkrankten Erwachsenen und Jugendlichen zugelassen, die ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 haben, aber (noch) keine zusätzliche Sauerstofftherapie benötigen. Als besonders gefährdet gelten zum Beispiel Menschen mit einer schweren Grunderkrankung oder höheren Alters (siehe Kasten unten). Die Anwendung sollte innerhalb von sieben Tagen (Sotrovimab innerhalb von fünf Tagen) nach Auftreten der Covid-19-Symptome einmalig per intravenöser Infusion erfolgen. Die Antikörper binden an Strukturen auf dem Virus oder auf menschlichen Zellen und verhindern, dass das Virus in die Zelle eintritt. Der Erfolg, der sich mit Antikörpern erzielen lässt, ist beachtlich. In der Zulassungsstudie von Sotrovimab senkte dieses beispielsweise das Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf um fast 80 Prozent.
Tocilizumab ist kein Antikörper gegen SARS-CoV-2, sondern bindet an Interleukin-6. Es kann demnach das Eindringen des Virus in die Zelle nicht verhindern, wohl aber eine überschießende Immunreaktion. Aufgrund dieser Wirkung hatte es bislang schon eine Zulassung für die Behandlung rheumatoider Arthritis, die dann um Covid-19 erweitert wurde. In Kombination mit Glucocorticoiden ist Tocilizumab zur Behandlung schwer erkrankter erwachsener Covid-19-Patienten zugelassen, die zum Beispiel schon beatmet werden müssen.
Die Kombination Casirivimab/Imdevimab kann auch prophylaktisch gegeben werden, wenn jemand, der ein hohes Risiko für einen schweren Verlauf hat, in Kontakt mit einer infizierten Person war (Postexpositionsprophylaxe). Auch eine Präexpositionsprophylaxe ist möglich: Besonders gefährdete Patienten können die Antikörper-Kombination regelmäßig alle vier Wochen als subkutane Injektion erhalten, um das Risiko bei einem möglichen Kontakt so weit wie möglich zu reduzieren.
Die genannten neutralisierenden monoklonalen Antikörper wirken gegen die bisherigen Virusvarianten einschließlich der Delta-Variante. Gegen die aktuell vorherrschende Omikron-Variante ist nach derzeitigem Kenntnisstand jedoch nur Sotrovimab wirksam. Dieser Antikörper bindet an einen Bereich des Spikeproteins, der selten mutiert.
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.