Was ist dran am löchrigen Darm? |
Isabel Weinert |
06.12.2022 13:30 Uhr |
Jeden Tag ein Naturjoghurt – das stärkt über das Mikrobiom auch die Darmbarriere. / Foto: Adobe Stock/auremar
PTA-Forum: Was versteht man unter dem Begriff »Leaky Gut«?
Storr: Ein Leaky Gut heißt löchriger oder durchlässiger Darm. Gemeint ist hier die Darmbarriere, die ja die Barriere zwischen innen und außen darstellt. Sie muss durchlässig sein, damit Nährstoffe in den Körper gelangen können. Wenn diese Durchlässigkeit jedoch erhöht ist, entspricht das einer erhöhten Permeabilität, und das wird oftmals als Leaky Gut benannt. Viele Laien und einige Gesundheitsberatende ohne medizinischen Hintergrund verstehen darunter und propagieren das auch so, dass aus irgendeiner unbekannten Pathologie heraus die Durchlässigkeit der Darmbarriere stark erhöht ist und dass das ein eigenständiges Krankheitsbild sei. Oftmals wird damit auch das Thema Mikrobiom oder gestörte Darmflora - Begrifflichkeit ist hier die Dysbiose – verbunden. Die Lösung wird dann im außermedizinischen Gesundheitsbereich in Stuhltests gesehen, mit denen sich der Leaky Gut nachweisen lassen soll und auf dessen Ergebnis eine Therapie fußen soll – häufig mit irgendwelchen Probiotika. Der Leaky Gut wird hier eigentlich nahezu mit allen Krankheiten verbunden. Es gibt meines Wissens eigentlich nichts, was nicht-medizinische Kreise nicht darauf zurückführen. Das ist medizinisch-wissenschaftlich so nicht haltbar, aber der Begriff Leaky Gut hat sich festgesetzt oder auch der Begriff Leaky-Gut-Syndrom.
PTA-Forum: Wie sieht die wissenschaftliche Sichtweise aus?
Storr: Mediziner führen auf den Leaky Gut erst einmal gar nichts zurück, das heißt, in der Medizin geht man immer von Symptomen aus. Der Patient kommt mit Symptomen und dann wird überlegt, wie sich das erklären lassen könnte. Und wenn die Symptome zum Beispiel Darm- oder Verdauungsbeschwerden sind, also auf einen Reizdarm hindeuten, dann denken Mediziner auch an die Darmbarriere denken und machen spezifische Untersuchungen. Zum Beispiel wird der Stuhl auf einen Entzündungswert getestet, der sich Calprotectin nennt und darauf hinweist, dass Entzündungen im Darm vorliegen können. Patienten werden auf Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten untersucht, allen voran auf die Lactose- sowie die Fructoseintoleranz. Zudem stehen Untersuchungen auf Zöliakie und auch Endoskopien an, um zu schauen, ob Darmentzündungen vorliegen. Aber mit dem Begriff Leaky Gut per se als eigenständiges Krankheitsbild können wir im Moment wenig anfangen, weil es dafür keine Datenbasis gibt, die als Grundlage dienen könnte.
PTA-Forum: Wie kann man sich die Durchlässigkeit der Darmschleimhaut vorstellen?
Storr: Die natürliche Durchlässigkeit findet zum einen transzellulär statt, also durch die Zelle hindurch, für kleine Substanzen, und zum anderen parazellulär, das heißt, zwischen den Zellen hindurch gelangen größere Partikel. Und hier spielen die Tight Junctions eine große Rolle. Diese Strukturproteine dichten Darmepithelzellen ab. Sie können wie ein Klettverschluss auf- und zugehen, je nachdem, ob etwas hindurchgelassen werden soll oder nicht.
Wenn die Durchlässigkeit erhöht ist, dann spricht man von einer Permeabilitätsstörung, die krankmachend oder krankhaft sein kann. So stellt zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Reizdarmsyndrom RDS die Permeabilitätsstörung einen ganz zentralen Baustein der Pathophysiologie dar, aber auch entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa oder Nahrungsmittelunverträglichkeiten wie die Zöliakie können mit Permeabilitätsstörungen einhergehen. Das gilt auch für virale oder bakterielle Darminfektionen.
PTA-Forum: Welche Erkrankungen gehen mit einer erhöhten Durchlässigkeit des Darms einher?
Storr: Hier gibt es schon Krankheitsbilder, bei denen die Durchlässigkeit erhöht ist. Ganz zentral zu nennen ist das Reizdarmsyndrom, sind Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder auch chronische Darmerkrankungen. Es können im Zusammenhang mit erhöhter Durchlässigkeit auch Autoimmunphänomene getriggert werden oder auch entzündliche Erkrankungen. Hier ist aber noch wissenschaftlicher Nachholbedarf, hier haben wir viel noch nicht verstanden.
PTA-Forum: Lässt sich die Funktion der Darmbarriere messen?
Storr: Eine spezielle Diagnostik, um die Funktion der Darmbarriere zu überprüfen, gibt es für den Routineeinsatz nicht. Da fokussiert man mehr auf Krankheitsbilder, Symptome und vermutete Schäden, die sozusagen Entzündungen im Darmbereich bedingen können, und versucht, diese Entzündungen zu detektieren. Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen auf die Permeabilität im Darmbereich, die jedoch in der Routinediagnostik nicht etabliert sind.
PTA-Forum: Welche Rolle kommt dem Mikrobiom zu?
Storr: Das Mikrobiom kann im Zusammenhang mit Permeabilitätsstörungen eine Rolle spielen, denn es ist schützend im Bereich der Darmbarriere, es fügt sich dort als feste Schicht zusammen. Entstehen Schäden im Mikrobiom, zum Beispiel im Zusammenhang mit Infektionen oder mit Antibiotikagaben, durch die temporär eine Dysbiose entsteht, also eine Ausdünnung des Mikrobioms, dann ist die Darmbarriere geschwächt und dann können Schäden und Permeabilitätsstörungen auftreten. Denn die Interaktion des Mikrobioms mit der Darmschleimhaut ist vielfältig und dient dem Schutz des Menschen.
Es hilft bei Abwehrreaktionen, besetzt den Lebensraum und verhindert dadurch, dass sich fremdartige oder krankmachende Keime ansiedeln können. Das Mikrobiom hilft auch, die Darmschleimhautzellen zu ernähren, da werden kurzkettige Fettsäuren wie Butyrate gebildet, die als Nährstoffe für die Epithelzellen dienen. Das Mikrobiom unterstützt zudem die Vitaminproduktion.
PTA-Forum: Was kann man selbst für eine gesunde Darmschleimhaut tun?
Storr: Wenn jemand die Darmschleimhaut und das Mikrobiom gesund halten möchte, eignet sich eine ausgewogene Mischkost mit pflanzlichen Ballaststoffen. Besonders günstig wirken sich indische Flohsamenschalen aus. Sie dienen dem Mikrobiom als Substrat und fördern so eine gesunde Darmflora und eine gesunde Darmschleimhaut. Wichtig ist auch, nicht mehrmals am Tag kleine Mahlzeiten zu sich zu nehmen, sondern zu drei festen Zeitpunkten täglich seine Mahlzeiten zu sich zu nehmen. Denn der Darm braucht auch Ruhephasen tagsüber, um sich zu regenerieren uns sich reinigen zu können.
PTA-Forum: Was können Prä- und Probiotika?
Storr: Prä- und Probiotika im Sinne eines reinen Schutzes sind medizinisch wenig etabliert. Präbiotika sind die schon genannten Ballaststoffe. Gerade der indische Flohsamenschalen ist ein Präbiotikum, das medizinisch empfohlen ist und das man auch als Gesunder einnehmen kann, wenn man möchte. Ebenso sinnvoll ist es, wenn man sich Haferflocken (oder Haferkleie?) in die Ernährung einbaut und da leitet es auch schon zu den Probiotika, denn kombiniert man die Haferflocken täglich mit einem Becher Naturjoghurt, dann tut man dem Darm sehr viel Gutes, und das reicht für die meisten Menschen auch aus.
Probiotika einzunehmen, um die Gesundheit zu wahren oder zu schützen, ohne dass Krankheitssymptome bestehen, ist medizinisch nicht erforderlich. Das wird in der Laienpresse oft so transportiert, dass es günstig sei, wahhlos irgendwelche Probiotika einzunehmen. Im Gegenteil existiert mittlerweile sogar ein Krankheitsbild bei Menschen, die wahllos verschiedene Probiotika einnehmen. Die Erkrankung heißt Probiotika-Syndrom. Die Betroffenen therapieren sich durch die vielen Probiotika in Symptome hinein, wie Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall oder Verstopfung. Sie verursachen sich also selbst Gesundheitsstörungen.