Wie Teenies gesund essen |
Das heißt aber nicht, dass Mahlzeiten mit der ganzen Familie für die Heranwachsenden ohne Bedeutung sind. Sozialwissenschaftler haben in Befragungen herausgefunden, dass es Jugendliche gleichzeitig mit dem Abnabeln schätzen, zuhause versorgt zu werden und im Familienverband essen zu können. Gemeinsame Mahlzeiten haben in den letzten zehn Jahren laut Befragungen sogar wieder zugenommen. Experten raten daher dazu, die Gelegenheiten zu nutzen, die Jugendlichen bei der Essensgestaltung stärker einzubeziehen und so günstige Essgewohnheiten zu verankern. Steht das Essen immer bereits auf dem Tisch oder müssen sie ein fertiges Gericht lediglich erwärmen, fehlt es ihnen zudem an küchenpraktischen Erfahrungen und Kompetenzen.
Jugendliche sollten daher nicht nur zum Spülmaschine ausräumen oder Tischdecken abgeordnet werden, sondern bei der Planung, beim Einkaufen, Schnippeln und Kochen mithelfen. Experten sind überzeugt, dass die so vermittelten Erfolgserlebnisse den jungen Menschen das Zutrauen verschaffen, selbst etwas zu können, und sich so das Interesse an gesundem, selbst zubereitetem Essen wecken lässt. Auch wenn in bestimmten Phasen ernährungsphysiologisch eher Ungünstiges wie Fastfood und Chips zu dominieren scheint, werde so das spätere Essverhalten der jungen Menschen nachhaltig positiv geprägt.
Nicht immer können Eltern die Essgewohnheiten ihrer Heranwachsenden uneingeschränkt tolerieren. Denn in der Gruppe der 14- bis 17-Jährigen gibt es einen nicht unerheblichen Anteil an Übergewichtigen. Das betrifft 18,5 Prozent der Jungen und 16,2 Prozent der Mädchen. An Adipositas – also krankhaftem Übergewicht oder Fettleibigkeit – leiden 9,2 Prozent der 14- bis 17-Jährigen Jungen und 7,7 Prozent der Mädchen. Diese Zahlen stammen aus einem Erhebungszeitraum zwischen 2014 bis 2017.
Neuere Zahlen des Universitätsklinikums Ulm von Anfang 2020 sprechen von rund 200.000 Jugendlichen mit extremer Adipositas, das heißt, einer massiven Vermehrung von Körperfett. Das bedeutet erhebliche gesundheitliche wie auch psychische Belastungen. Die Autoren des aktuellen Ernährungsberichts der DGE weisen darauf hin, dass dabei auffallend viele Kinder und Jugendliche aus Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status kommen. Dieser Status berechnet sich aus den Faktoren Bildung, Berufsstatus und Einkommen. Die sozial schwächeren Heranwachsenden sind im Vergleich zu Gleichaltrigen aus Familien mit mittlerem oder höherem Sozialstatus wesentlich häufiger übergewichtig, von Adipositas sind sie sogar mehr als viermal so häufig betroffen wie sozial stärkere Kinder und Jugendliche.
In der Corona-Pandemie hat sich das Problem für viele verschlimmert. Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), der AG Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA) sowie der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG) sprechen bereits von einer zweiten, stillen Pandemie. Denn der Anteil an schwer übergewichtigen Kindern und Jugendlichen hat während der Pandemie noch einmal spürbar zugenommen. Deutlich eingeschränkte Kontaktmöglichkeiten, geschlossene Schulen, Sporthallen und -vereine, ein teilweise extrem hoher Medienkonsum, fehlende Tagesstrukturen und Essenszeiten während des Lockdowns sind Gründe für diese Entwicklung.
Die Experten berichten von Einzelfällen, in denen Kinder 30 Kilogramm Gewicht innerhalb eines halben Jahres zugenommen haben. Die Charité Berlin und die Kinderklinik Halle diagnostizierten im Vergleich zum Vorjahr dreimal so oft Neuerkrankungen von Typ-2-Diabetes bei Jugendlichen mit extremer Adipositas. DAG-Vizepräsidentin Dr. Susanna Wiegand betont in einer Pressemeldung jedoch, dass der Beginn wesentlich weiter zurückreiche. Seit Jahren würden auch normalgewichtige Kinder Muskelmasse verlieren und Körperfett aufbauen. Das bedeute für diese Kinder und Jugendlichen nicht nur eine eingeschränkte Lebensqualität, sondern es finden sich bereits im jungen Alter zunehmend Erkrankungen, die sonst erst im Erwachsenenalter auftreten, wie Typ-2-Diabetes oder eine Fettleber. Die Anzahl der von Typ-2-Diabetes betroffenen Jugendlichen wird in Deutschland derzeit auf etwa 1.000 geschätzt. Die Dunkelziffer halten Experten aber für deutlich höher und befürchten mit Beginn der Corona-Pandemie einen erheblichen Anstieg.
Jugendliche zeigen eine große Affinität zum Internet und zu Social-Media-Kanälen wie Instagram, Tiktok oder Youtube. Das haben große Lebensmittelunternehmen längst erkannt und nutzen diese Kanäle inzwischen gezielt, um ihre Produkte wie Schokolade, Fitnessdrinks, Gummibärchen und anderes mehr bei den Heranwachsenden zu bewerben. Dazu setzen sie auf die oft große Nähe zu Influencern. Eine Studie der Verbraucherschutzorganisation foodwatch berichtet, dass sich 11- bis 15-Jährige ihren Online-Stars »bedingungslos hingeben« und deren Aussagen »vollstes Vertrauen« entgegenbringen. Das Perfide: Für die Jugendlichen ist oft nicht zu erkennen, dass es sich dabei um bezahlte Werbung handelt. Auch hier sollte eine gesetzliche Regelung geschaffen werden, um junge Menschen vor dieser Beeinflussung zu schützen. Ein Gutachten des wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) zeigt: In Ländern mit gesetzlichen Beschränkungen des Kindermarketings wie Norwegen, Schweden oder Großbritannien hat sich der Konsum von sogenanntem Junkfood im Zeitraum von 2002 bis 2016 um fast neun Prozent verringert. In Ländern mit freiwilligen Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, so wie in Deutschland, ist der Konsum im gleichen Zeitraum dagegen um 1,7 Prozent gestiegen.