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Zwischen Auflehnung und Abnabeln

Wie Teenies gesund essen

Pommes, Burger und Energy Drinks – die Essgewohnheiten von Jugendlichen bereiten deren Eltern öfter Magengrummeln. »Das kann doch nicht gut sein! Wie soll das nur weitergehen?«, fragen sie sich zum Beispiel. Und tatsächlich – es ist eine Gratwanderung, zwischen Protesthaltung und Lifestyle eine gesunde Ernährung für den fast erwachsenen Nachwuchs zu etablieren.
Ulrike Becker
29.10.2021  09:00 Uhr

Zu viele Süßigkeiten und Softdrinks und wenig Interesse an gesunder Ernährung: Viele Eltern beklagen die Ernährungsgewohnheiten ihrer kleinen und großen Kinder. Die Heinrich-Böll-Stiftung wollte es genauer wissen und hat Wissenschaftler der Universität Göttingen beauftragt, sich das Essverhalten junger Menschen anzuschauen. In dem »Jugendreport zur Zukunft nachhaltiger Ernährung« – veröffentlicht im Juli dieses Jahres – wollten die Initiatoren wissen, wie die junge Generation im Moment hinsichtlich Nachhaltigkeit, Fleischkonsum und Klimawandel tickt. Dazu wurden knapp 1.500 junge Erwachsene zwischen 15 und 29 Jahren befragt.

Die Ergebnisse zeigen, dass das Interesse an Ernährungsthemen groß ist. So gaben 90 Prozent an, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Rund 70 Prozent halten gesunde Ernährung für wichtig und achten stärker als der Rest der Bevölkerung auf Biolebensmittel, aber auch auf einen hohen Proteinanteil, Superfoods und laktosefreie Nahrungsmittel. Fleisch verschwindet in der Altersgruppe immer häufiger vom Speiseplan. Als Gründe geben die jungen Menschen tierethische Überlegungen an sowie den Klimawandel. Allerdings bezeichnen sich nur 12 Prozent als Vegetarier und lediglich 2 Prozent der Befragten ernähren sich rein vegan; bei den jungen Frauen ist der Anteil etwas höher. Die Mehrheit gibt an, in Zukunft weniger Fleisch essen zu wollen. Hauptsächlicher Grund sind die fragwürdigen und viel diskutierten Bedingungen in der Nutztierhaltung.

Die Ergebnisse würden sicher etwas anders ausfallen, würden nur die 14- bis 18-Jährigen befragt, die klassischerweise als Jugendliche gelten. Andere Studien bestätigen aber, dass vegetarische Ernährung bei Jugendlichen ein Thema ist. Allerdings gibt es speziell für diese Altersgruppe keine gesonderte Studie, sondern überwiegend Daten, in die auch die Ergebnisse von jüngeren Kindern einfließen. So erfasste die sogenannte EsKiMo II-Ernährungsstudie des Robert Koch-Instituts zwischen 2014 und 2017 die Essgewohnheiten von Kindern und Jugendlichen zwischen sechs und unter 18 Jahren, differenzierte dabei aber auch nach Altersgruppen. Nach dieser Erhebung ernähren sich 5 Prozent der Jugendlichen zwischen 12 und 18 Jahren vegetarisch, womit sich der Anteil im Vergleich zur ersten Studie 2006 deutlich erhöht hat. Durch die breite Klimadebatte der letzten Jahre und das große Angebot an pflanzlichen Ersatzprodukten dürfte der Anteil mittlerweile weiter gestiegen sein.

Pflanzlich im Trend

Viele Eltern machen sich Sorgen, ob Jugendliche mit allen Nährstoffen versorgt sind, wenn sie sich überwiegend pflanzlich ernähren. Die Vegetarian and Vegan Children and Youth Study (VeChi-Youth-Studie) hat sich daher die Nährstoffversorgung von Kindern und Jugendlichen genauer angeschaut. Die Wissenschaftler untersuchten dabei Größe, Gewicht und Body Mass Index (BMI in kg/m2) von 401 sechs- bis 18-Jährigen, die sich vegetarisch, vegan oder durchschnittlich ernährten (sogenannte Mischköstler), und verglichen Energie- und Nährstoffzufuhr sowie -status mit Hilfe von Blut- und Urinproben.

Die Ergebnisse geben Entwarnung: Unabhängig von der Ernährungsweise unterschieden sich die Kinder und Jugendlichen kaum hinsichtlich des Gewichts oder der Größe. Die Vegetarier und Veganer aßen sogar häufiger günstige Lebensmittel wie Getreide, Gemüse und Obst, auch Hülsenfrüchte und Nüsse kamen bei ihnen öfter auf den Tisch. Die vegan essenden Kinder und Jugendlichen nahmen darüber hinaus am wenigsten zugesetzten Zucker und die meisten Ballaststoffe auf. Der fleischessende Nachwuchs konsumierte dagegen häufiger Fertiggerichte und mehr Süßigkeiten sowie Knabbereien. Die verbreitete Befürchtung, dass bei Pflanzenkost zu wenig Protein aufgenommen wird, hat sich nicht bestätigt. Die Studie konnte zeigen, dass die meisten Heranwachsenden die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) vorgeschlagenen Referenzwerte zur Proteinzufuhr erreichen.

Mangel möglich

Allerdings gibt es auch kritische Nährstoffe und das bei allen Ernährungsweisen. Zwar zeigte sich, dass der Großteil der Kinder und Jugendlichen mit den meisten Vitaminen und Mineralstoffen gut versorgt ist. Besonders Veganer nahmen über ihre rein pflanzliche Lebensmittelauswahl reichlich Vitamin C, E sowie B1 und Folat auf und waren auch mit den Mineralstoffen Magnesium und Eisen ausreichend versorgt. Die Zufuhr an Vitamin B2, Vitamin D und Jod stellte sich jedoch bei einem nennenswerten Teil der jungen Teilnehmer als kritisch heraus. Hinsichtlich des hauptsächlich über Milch und Milchprodukte aufgenommenen Vitamin B2 wiesen fast 55 Prozent der Pflanzenköstler eine unzureichende Zufuhr auf, aber auch 51 Prozent der Vegetarier und knapp 39 Prozent der Mischköstler, die auch tierische Lebensmittel auf dem Speisezettel haben. Die empfohlenen Vitamin D-Werte unterschritten 30 Prozent aller Kinder und Jugendlichen.

Auf Calcium achten

Als weiterer kritischer Nährstoff entpuppte sich der Knochenbaustein Calcium. Den empfohlenen Wert erreichten nur knapp 46 Prozent der Veganer, 56 Prozent der Vegetarier und rund zwei Drittel der Mischköstler. Da der Prozess des Knochenaufbaus noch bis zum 30. Lebensjahr stattfindet, ist Jugendlichen anzuraten, ihre Calciumversorgung mit calciumreichem Gemüse, angereicherten Milchersatzprodukten und calciumreichem Mineralwasser zu verbessern. Unzureichend stellte sich auch unabhängig von der Ernährungsweise die Versorgung mit dem Spurenelement Jod dar, bei Veganern fiel sie aber besonders niedrig aus. Daher sollten bei allen jungen Menschen vermehrt jodiertes Speisesalz sowie mit diesem Salz hergestellte Produkte zum Einsatz kommen sowie gelegentlich jodreicher Fisch. Durch Anreicherung des Tierfutters tragen auch Milchprodukte und Eier zur Jodversorgung bei.

Viele Mädchen zwischen 10 bis unter 18 Jahren zeigten eine geringe Vitamin-B12-Zufuhr. Vitamin B12 kommt nur in tierischen Lebensmitteln vor, Veganer müssen es über Supplemente ergänzen. Ob die Versorgung ausreicht, sollte mit regelmäßigen Blutkontrollen überwacht werden. Die VeChi-Youth-Studie macht deutlich, dass sich bei einer überwiegend oder rein pflanzlichen Ernährung nicht automatisch eine Fehlernährung entwickeln muss. Voraussetzung ist allerdings eine abwechslungsreiche Ernährung, die besonders auf die Zufuhr an Vitamin B12-Supplementen, Calcium und Jod achtet. Hilfreich ist dabei, wenn sich die Eltern gut auskennen und gemeinsam mit ihrem Nachwuchs das Essen planen oder eine Ernährungsfachkraft zu Rate gezogen wird, um den Speiseplan ausgewogen zu gestalten. Die Studienergebnisse zeigen aber auch, dass bei den Mischköstlern ebenfalls Verbesserungsbedarf besteht und mehr Gemüse, Obst, Vollkorn und Hülsenfrüchte auf den Tisch kommen sollten.

Abnabeln vom Familientisch

Auch wenn Tendenzen hin zu einer stärker pflanzenorientierten Ernährung erkennbar sind, landen ohne Frage bei den meisten Jugendlichen häufig auch ungünstige Lebensmittel auf dem Teller. Denn das Abgrenzen vom Essen am Familientisch gehört ein Stück weit zum Erwachsenwerden dazu. Im Alltag bekommt das Familienessen einen immer geringeren Stellenwert. Bedingt durch längere Schulzeiten mit Nachmittagsunterricht sowie Musikstunden oder Sport findet die Versorgung zwangsläufig vermehrt außerhalb statt. Befragungen zeigen, dass Essen dabei häufig nebenbei stattfindet und die Gesellschaft von Freunden – der sogenannten Peer-Group – an Bedeutung gewinnt. Heranwachsende wollen sich ausprobieren und die Traditionen aus dem Elternhaus auch bewusst brechen. Das erklärt die große Beliebtheit von Fastfoodketten mit einem auch für Jugendliche erschwinglichen Angebot.

Zuhause muss es in vielen Familien oft schnell gehen, weil die Eltern berufstätig sind und im Alltag keine Zeit für aufwendiges Kochen bleibt. Zwar wächst die Zahl an Schulmensen, und die Möglichkeit für ein warmes Mittagsessen hat sich in den letzten zehn Jahren nahezu verdoppelt. Doch zur Abgrenzung gehört, dass Jugendliche dieses Angebot oftmals verschmähen und mit ihren Freunden lieber zum Dönerimbiss in die Stadt gehen. In vielen Familien kommen in dieser Phase daher häufiger Fertiggerichte wie die klassischen Tiefkühlpizza auf den Tisch, die die Jugendlichen sich dann zubereiten, wenn es in ihren Zeitplan passt.

Kochen früh lernen

Das heißt aber nicht, dass Mahlzeiten mit der ganzen Familie für die Heranwachsenden ohne Bedeutung sind. Sozialwissenschaftler haben in Befragungen herausgefunden, dass es Jugendliche gleichzeitig mit dem Abnabeln schätzen, zuhause versorgt zu werden und im Familienverband essen zu können. Gemeinsame Mahlzeiten haben in den letzten zehn Jahren laut Befragungen sogar wieder zugenommen. Experten raten daher dazu, die Gelegenheiten zu nutzen, die Jugendlichen bei der Essensgestaltung stärker einzubeziehen und so günstige Essgewohnheiten zu verankern. Steht das Essen immer bereits auf dem Tisch oder müssen sie ein fertiges Gericht lediglich erwärmen, fehlt es ihnen zudem an küchenpraktischen Erfahrungen und Kompetenzen.

Jugendliche sollten daher nicht nur zum Spülmaschine ausräumen oder Tischdecken abgeordnet werden, sondern bei der Planung, beim Einkaufen, Schnippeln und Kochen mithelfen. Experten sind überzeugt, dass die so vermittelten Erfolgserlebnisse den jungen Menschen das Zutrauen verschaffen, selbst etwas zu können, und sich so das Interesse an gesundem, selbst zubereitetem Essen wecken lässt. Auch wenn in bestimmten Phasen ernährungsphysiologisch eher Ungünstiges wie Fastfood und Chips zu dominieren scheint, werde so das spätere Essverhalten der jungen Menschen nachhaltig positiv geprägt.

Wirkungen der Pandemie

Nicht immer können Eltern die Essgewohnheiten ihrer Heranwachsenden uneingeschränkt tolerieren. Denn in der Gruppe der 14- bis 17-Jährigen gibt es einen nicht unerheblichen Anteil an Übergewichtigen. Das betrifft 18,5 Prozent der Jungen und 16,2 Prozent der Mädchen. An Adipositas – also krankhaftem Übergewicht oder Fettleibigkeit – leiden 9,2 Prozent der 14- bis 17-Jährigen Jungen und 7,7 Prozent der Mädchen. Diese Zahlen stammen aus einem Erhebungszeitraum zwischen 2014 bis 2017.

Neuere Zahlen des Universitätsklinikums Ulm von Anfang 2020 sprechen von rund 200.000 Jugendlichen mit extremer Adipositas, das heißt, einer massiven Vermehrung von Körperfett. Das bedeutet erhebliche gesundheitliche wie auch psychische Belastungen. Die Autoren des aktuellen Ernährungsberichts der DGE weisen darauf hin, dass dabei auffallend viele Kinder und Jugendliche aus Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status kommen. Dieser Status berechnet sich aus den Faktoren Bildung, Berufsstatus und Einkommen. Die sozial schwächeren Heranwachsenden sind im Vergleich zu Gleichaltrigen aus Familien mit mittlerem oder höherem Sozialstatus wesentlich häufiger übergewichtig, von Adipositas sind sie sogar mehr als viermal so häufig betroffen wie sozial stärkere Kinder und Jugendliche.

In der Corona-Pandemie hat sich das Problem für viele verschlimmert. Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), der AG Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA) sowie der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG) sprechen bereits von einer zweiten, stillen Pandemie. Denn der Anteil an schwer übergewichtigen Kindern und Jugendlichen hat während der Pandemie noch einmal spürbar zugenommen. Deutlich eingeschränkte Kontaktmöglichkeiten, geschlossene Schulen, Sporthallen und -vereine, ein teilweise extrem hoher Medienkonsum, fehlende Tagesstrukturen und Essenszeiten während des Lockdowns sind Gründe für diese Entwicklung.

Die Experten berichten von Einzelfällen, in denen Kinder 30 Kilogramm Gewicht innerhalb eines halben Jahres zugenommen haben. Die Charité Berlin und die Kinderklinik Halle diagnostizierten im Vergleich zum Vorjahr dreimal so oft Neuerkrankungen von Typ-2-Diabetes bei Jugendlichen mit extremer Adipositas. DAG-Vizepräsidentin Dr. Susanna Wiegand betont in einer Pressemeldung jedoch, dass der Beginn wesentlich weiter zurückreiche. Seit Jahren würden auch normalgewichtige Kinder Muskelmasse verlieren und Körperfett aufbauen. Das bedeute für diese Kinder und Jugendlichen nicht nur eine eingeschränkte Lebensqualität, sondern es finden sich bereits im jungen Alter zunehmend Erkrankungen, die sonst erst im Erwachsenenalter auftreten, wie Typ-2-Diabetes oder eine Fettleber. Die Anzahl der von Typ-2-Diabetes betroffenen Jugendlichen wird in Deutschland derzeit auf etwa 1.000 geschätzt. Die Dunkelziffer halten Experten aber für deutlich höher und befürchten mit Beginn der Corona-Pandemie einen erheblichen Anstieg.

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