Wie uns die Corona-Krise zusammenschweißt |
Immer mehr junge Menschen, die keiner Coronavirus-Risikogruppe angehören, bieten sich an, für ältere, gefährdete Menschen Einkäufe zu erledigen – um diese zu schützen. / Foto: Getty Images/Noel Hendrickson
»Als einzige Spezies sind wir evolutionsbiologisch dazu in der Lage, uns unserer Gefühle und Gedanken bewusst zu werden, unser Handeln zu reflektieren und es an sozialer Verantwortung und Gerechtigkeit auszurichten«, sagt die Sozialpsychologin Elisabeth Kals von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Es gehe um Solidarität mit denen, die zu Risikogruppen gehören, aber auch mit all jenen, die im Moment beruflich oder privat besonders gefordert sind und dabei oft an ihre Grenzen gehen, erklärt die Professorin.
»Wenn der moralische Kompass ist, Schwache sowie Helfende in besonderer Weise zu schützen, kann eine Gesellschaft an dieser Krise auch wachsen und gestärkt aus ihr hervorgehen«, ist Kals überzeugt. Sie rechnet mit »positiven Interaktionen im Alltag«. Ganz nach dem Motto: »In dieser Zeit der Krise müssen wir zusammenhalten.«
Als Beispiel nennt Kals die Initiative aus Wien, die sich im Netz unter dem Schlagwort NachbarschaftsChallenge verbreitet: Social-Media-Managerin Frederika Ferkova hängte einen Zettel im Wohnhaus auf: »Wir gehören nicht zur Risikogruppe und können somit unter die Arme greifen, falls benötigt.« Auf diesem Weg bietet sie zum Beispiel an, Einkäufe für Alte oder Kranke zu übernehmen. Angesichts abgesagter Veranstaltungen an Universitäten könnten sich auch Studenten »in ihrer neuen Freizeit ja um Kinder aus der Nachbarschaft kümmern und mit dem Achtjährigen von nebenan zum Beispiel etwas malen«, findet Ferkova. Mittlerweile hat die Aktion in ganz Deutschland viele Nachahmer gefunden
Neben Politikern, Kommunen und Privatpersonen rufen dieser Tage auch Vereine, Patientenschützer, Kirchenvertreter und soziale Organisationen zur Solidarität auf. Für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) geht es schon damit los, Abstand zueinander zu halten. »Eine scheinbar paradoxe Sache, die aber heute notwendig ist«, sagt sie. Neben Mitmenschlichkeit geht es bei manchen Appellen auch um finanzielle Hilfen für Leute, deren Bezahlung nun auf der Kippe steht – etwa in der Kulturszene.
Doch allen Aufrufen zum Trotz gibt es auch Meldungen, die eher nach der Kehrseite klingen: Manche Tafeln bekommen angesichts leergekaufter Supermärkte keine Lebensmittel mehr, der Blutspendedienst des Deutschen Roten Kreuzes meldete einen Rückgang der Spenderzahlen. Womöglich bleiben die Leute aus Furcht vor einer Ansteckung fern.
Sozialpsychologin Kals sagt, es sei wichtig, die diffuse Angst zu verstehen und sich seriös zu informieren. »Die Hoffnung ist, dass durch Reflexion und Veränderung der Urteile und Einschätzungen nicht nur Ängste geringer werden und sich auf ein gut begründetes Maß einpendeln. Sondern auch, dass positiv erlebte Emotionen wachsen, wie etwa Vertrauen, Zuversicht, aber auch Empathie für andere, die möglicherweise stärker bedroht und gefährdet sind als man selbst.«
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.