Opioide: Wirksame Medikamente, gefährliche Suchtmittel |
Ärzte sollten im Einzelfall entscheiden, ob eine pharmakologische Behandlung möglicher Opioid-Entzugserscheinungen sinnvoll ist. Unruhe und Schlafstörungen lindern Beruhigungsmittel wie Benzodiazepine, dämpfende Antidepressiva oder niederpotente Neuroleptika. Insbesondere Benzodiazepine bringen aber selbst ein Abhängigkeitspotenzial mit. Zu vermeiden ist, dass ein Suchtmittel durch ein anderes ersetzt wird.
Freunde und Verwandte sollten einen Entzug unterstützend begleiten. / Foto: Adobe Stock/Photographee.eu
Bei Unruhe in den Beinen im Sinne eines Restless-Legs-Syndroms kann ein Dopamin-Agonist helfen. Bestehen Schmerzen fort, eignen sich Maßnahmen der multimodalen Schmerztherapie wie physikalische Therapien, Krankengymnastik, nicht steroidale Schmerzmittel, schmerzdistanzierende Präparate wie Antidepressiva oder auch manche Antikonvulsiva, wobei speziell bei Pregabalin wieder das Suchtpotenzial der Substanz zu beachten ist. Besteht bei den Schmerzen ein psychosomatischer Hintergrund, können auch psychotherapeutische Verfahren, etwa eine Verhaltenstherapie angezeigt sein.
Nicht zu vernachlässigen beim Entzug ist das soziale Umfeld. Falls möglich, sollten Freunde oder Verwandte zur Unterstützung einbezogen werden. Die Betroffenen sollten zudem auf eine psychosoziale Betreuung zurückgreifen können, wenn sie diese benötigen. Das Apothekenteam kann auf Einrichtungen wie die psychosoziale Betreuung durch die Drogenberatung hinweisen oder Adressen von Selbsthilfegruppen anbieten.
Sind die ICD-10-Diagnosekriterien einer Opioidabhängigkeit erfüllt, kann eine substitutionsgestützte Suchttherapie zum Einsatz kommen. Für Betroffene ist diese jedoch oft mit einer Stigmatisierung verbunden. Sie erhalten das Arzneimittel in kurzen Intervallen, etwa täglich oder wöchentlich. Regelmäßig, das heißt ein bis vier Mal pro Monat, müssen sie ihren Urin oder ihr Blut untersuchen lassen. Die Tagesvergabe in der Praxis bedeutet, dass Abhängige in ihrem Tagesablauf eingeschränkt sind. Je nach Schweregrad kann es daher sinnvoll sein, zuerst eine strukturierte Entwöhnung, also einen warmen Entzug, beim behandelnden Arzt zu versuchen. Wenn diese jedoch scheitert, beziehungsweise die Grundlagen dafür nicht gegeben sind, sollten Abhängige versuchen, mit einem Substitutionsmittel – zugelassen sind in Deutschland Methadon, Levomethadon und Buprenorphin – von den Opioiden loszukommen.
In den USA ist die Zahl der Drogentoten in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Die Einnahme opioidhaltiger Schmerzmittel ist für viele Abhängige der Einstieg in die Sucht. / Foto: Adobe Stock/Stuart
2017 rief US-Präsident Donald Trump den medizinischen Notstand aus. Grund: Die Opioid-Krise. 2015 war erstmals seit dem Ersten Weltkrieg die durchschnittliche Lebenserwartung in den USA gesunken. 2017 starben 48.000 Amerikaner an den Folgen ihrer Opioid-Sucht. Für das kommende Jahrzehnt rechnen Experten mit Folgekosten der Epidemie in Höhe von 453 Milliarden US-Dollar.
Doch wie konnte es so weit kommen? Ärzte und Patienten haben anscheinend das Suchtpotenzial von opioidhaltigen Schmerzmitteln unterschätzt und die Substanzen viel zu leichtfertig auch bei alltäglichen Schmerzen eingesetzt. Viele Betroffene wechseln im Laufe ihrer Suchtkarriere zu Fentanyl oder dem billigeren Heroin. Das US-Gesundheitsministerium schätzt, dass 80 Prozent der Heroin-Abhängigkeiten auf die Einnahme von opioidhaltigen Schmerzmitteln zurückgehen. Das Problem betrifft auch die nachfolgende Generation: Babys kommen bereits drogenabhängig zur Welt, und Kinder von suchtkranken Menschen müssen bei Familienangehörigen oder in Heimen aufwachsen, da ihre Eltern den Erziehungsaufgaben nicht gewachsen sind.
Städte, Gemeinden und Bundesstaaten werfen den vermarktenden Pharmakonzernen vor, Informationen zur Suchtgefahr bewusst zurückgehalten und die Wirksamkeit der Medikamente übermäßig beworben zu haben. Bereits 2007 musste das Unternehmen Purdue Pharma für die aggressive Vermarktung von Oxycontin 634,5 Millionen US-Dollar Strafe zahlen. Johnson & Johnson wurde im Sommer dieses Jahres zu einer hohen Schadensausgleichzahlung verurteilt. Mit dem Geld will man für Folgen der Opioid-Krise aufkommen, so sollen etwa Programme für die Behandlung süchtiger Säuglinge finanziert werden. Das Urteil, das als richtungweisend für weitere Klagen gilt, veranlasste bereits vier Konzerne um den Hersteller Teva dazu, kurz vor Prozessbeginn einen Vergleich zu schließen.
Da das physische Verlangen nach dem Suchtmittel noch lange fortbestehen kann, ist die Nachkontrolle nicht zu vernachlässigen. Eine suchttherapeutische Anschluss- oder Mitbehandlung ist häufig angezeigt. Bei Patienten, die lange abhängig waren, haben sich die Opioidrezeptoren im Gehirn verändert und halten das Bedürfnis aufrecht, die Substanzwirkungen erneut zu erleben. Die Prognose hängt auch vom initialen Grund der Opioideinnahme ab. Menschen, die Opioide gegen Schmerzen oder psychosomatische Beschwerden angewendet haben, haben in der Regel gute Chancen, ihre Sucht in den Griff zu kriegen.