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Feucht oder trocken halten?

Wunden richtig behandeln

Ob geschnitten, verbrannt oder gekratzt: Eine akute Wunde ist eine Alltagsverletzung. Die ideale Behandlung hängt von Art, Tiefe und Lokalisation ab. Kompliziertere Wunden heilen im feuchten Milieu besser, oberflächliche Wunden kann man auch verschorfen lassen.
Nicole Schuster
05.03.2020  13:00 Uhr

Bei der Behandlung akuter Wunden scheiden sich nach wie vor die Geister: Die einen sagen, die Wunde heile am besten trocken an der Luft, damit sich schützender Schorf bilden könne. Die anderen plädieren für ein feuchtes Wundheilungsklima. Doch was ist richtig?

»Zunächst einmal muss die Art der Wunde betrachtet werden«, sagt Oberarzt Dr. med. Jan Esters von der Sektion Plastische Chirurgie des St. Marien-Hospital in Lüdinghausen und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung e. V. (DGfW) gegenüber dem PTA-Forum. »Handelt es sich um eine oberflächliche Wunde an einer unproblematischen Stelle? Oder ist es eine tiefe Wunde, bei der wichtige Strukturen wie Sehnen, Nerven oder Gefäße freiliegen?«

Zuerst desinfizieren

Schürfwunden und oberflächliche Verbrennungen wie beim Sonnenbrand verheilen in der Regel, ohne dass sich eine Narbe bildet. Narben sind erst dann zu erwarten, wenn auch die unter der Epidermis liegende Dermis verletzt ist. Bei oberflächlichen, leichten Läsionen kann der Körper in der Regel Form und Funktion des Gewebes unverändert wiederherstellen. Experten sprechen dabei von »restitutio ad integrum« (Abheilung ohne bleibende Schäden). Zellen der Epidermis vermehren sich und verschließen die Wunde wieder vollständig.

Der ganze Prozess dauert nur wenige Tage. Zur Behandlung ist laut dem Experten nicht viel mehr als das erforderlich, was der typische Verbandskasten im Auto hergibt: »Die Wunde muss zunächst desinfiziert werden. Dazu eignet sich nach wie vor Jodlösung am besten.« Auf andere Desinfektionsmittel sollten Schwangere ausweichen, sowie Menschen, die an einer Schilddrüsenfehlfunktion leiden oder allergisch auf Iod reagieren. Die PTA kann in solchen Fällen und Patienten, die eine klare Desinfektionslösung bevorzugen, Antiseptika wie Octenidin (Octeniderm®, Octenisept® oder Stellisan®) oder Polihexanid (Lavasept®, Lavanid® Wundgel oder Serasept®) empfehlen. Die Desinfektion verringert die bakterielle und virale Belastung der Wunde und ist besonders bei infizierten Wunden wichtig. Bei nicht-infizierten Wunden genügt es auch, sie mit Kochsalzlösung oder abgekochtem Wasser auszuwaschen, um mögliche Fremdkörper aus dem Wundbett zu entfernen.

Traditionell behandeln

Die gesäuberte Wunde ist dann mit einer sterilen Wundauflage beziehungsweise einem gewöhnlichen Pflaster im Sinne einer konventionellen trockenen Wundversorgung abzudecken. »Es fehlen bislang eindeutige Belege dafür, dass bei Bagatellverletzungen wie kleinen Schnitten, Kratzern, Abschürfungen oder oberflächlichen Verbrennungen ein feuchtes Milieu Vorteile verschafft«, erklärt Esters. Damit die neu gebildete Haut an der Wunde geschmeidig bleibt, können Betroffene sie mit pflegenden Substanzen einreiben. »Dafür eignen sich prinzipiell dieselben Produkte, wie für den Rest des Körpers«, sagt Esters. »Wichtig ist es, die Zubereitung mit leichtem Druck einzumassieren.«

Feuchtes Milieu

Vor allem einige Pharmafirmen propagieren das sogenannte moderne Wundheilungsmanagement im feuchten Milieu. Laut dem Experten ist das für oberflächliche, unkomplizierte Alltagswunden aber übers Ziel hinausgeschossen. Anders sehe es jedoch aus, wenn mehr als nur die oberen Hautschichten verletzt sind und Gewebe verloren gegangen ist: »Liegen Fettgewebe oder Strukturen wie Nerven frei, ist ein Austrocknen des Wundbetts unbedingt zu vermeiden.« Diese tieferen Wunden verlieren beim Trocknen an der Luft außerdem an Elastizität und reißen schneller auf, was die Heilung weiterhin beeinträchtigt. »Unter trockenen Bedingungen heilen heilen diese Wunden nicht ohne bleibende Schäden ab, und es können sich unschöne und beeinträchtigende Narben bilden«, so der Experte.

Um das zu verhindern und die Heilung zu beschleunigen, versuchen Ärzte bei Wunden mit Substanzverlust wie Bisswunden oder bei tieferen Wunden wie Stichwunden die idealen Bedingungen in einer geschlossenen Wundblase nachzuahmen. Ein weiterer Vorteil dieser Versorgung ist, dass seltener unförmige oder schmerzende Narben entstehen. Patienten leiden zudem weniger unter Wundschmerzen, da freigelegte Nervenenden vor dem Austrocknen geschützt sind. Auch chronische Wunden heilen im feuchten Milieu besser ab.

Phasengerecht wählen

Für die feuchte Wundbehandlung stehen verschiedene Verbandsmaterialien zur Verfügung, die phasengerecht und individuell auszuwählen sind. Ziel ist es, die Exsudationsphase zu verkürzen und die Granulationsphase, in der neues Bindegewebe wächst, zu beschleunigen (siehe Kasten »Heilen in drei Phasen«). Entscheidend für die Wahl der Wundversorgung ist der Feuchtigkeitsgehalt des Wundbetts.

Polyurethanschaumstoffe, Laminate und Alginate sind ideal für Wunden, die viel Flüssigkeit absondern. Amorphe hydroaktive Gelformulierungen lassen sich an verschiedene Wundformen und -größen anpassen und ermöglichen dem Verletzten, das betroffene Körperteil weiterhin gut bewegen zu können. Hydrokolloidgele wiederum können je nach Wundbeschaffenheit Feuchtigkeit aufnehmen oder abgeben. Eine optimale Wundauflage muss sich atraumatisch entfernen lassen, damit das neugebildete Gewebe nicht verletzt wird.

Um die Narbenbildung zu verbessern, rät der Experte zu Silikonfolien, pflastern oder -gelen. »Der Wirkmechanismus dieser Präparate ist zwar noch nicht genau entschlüsselt, wir wissen aber aus Erfahrung, dass sie wirken. Zu kombinieren sind sie zum Beispiel mit einer Kompressionsbehandlung.«

Wann zum Arzt?

Ein Fall für den Arzt ist jede Wunde, wenn Komplikationen wie Entzündungen oder Infektionen auftreten. Auch die Lage spielt eine Rolle. »Eine Wunde, die nahe bei funktionellen Organen liegt, ist problematisch«, erklärt der Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie. Bei einer Verletzung des Lids lässt sich das Auge unter Umständen nicht mehr schließen: »Das Auge droht auszutrocknen. In diesem Fall ist ärztliche Hilfe umgehend nach der Verletzung erforderlich.« Das gleiche gilt, wenn sich Wunden trotz geeigneter Behandlung nicht bessern. In diesen Fällen besteht die Gefahr, dass die Wunde chronisch wird. Von einer chronischen Wunde – dazu zählen Druckgeschwüre oder auch das Ulcus cruris – sprechen Ärzte, wenn sich ein Defekt nach sechs bis acht Wochen nicht geschlossen hat. Die meisten Patienten leiden unter einer Grunderkrankung wie Diabetes mellitus, der den Heilungsprozess verzögern beziehungsweise verhindern kann.

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