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An der Wurzel anpacken

Zähne retten und restaurieren

Dr. med. dent. Maria Bruhnke ist Spezialistin für Prothetik an der Charité Berlin. Ihr Schwerpunkt: zerstörte Zähne restaurieren. Dazu bedienen sie und ihre Kollegen sich zunehmend einer ebenso einfachen wie genialen Methode. Dabei spielt die Zahnwurzel die Hauptrolle.
Isabel Weinert
07.03.2023  08:30 Uhr

PTA-Forum: Wie werden durch einen Unfall geschädigte oder durch Karies sehr stark zerstörte Zähne heute meist behandelt?

Bruhnke: Wie ein durch einen Unfall oder durch Karies zerstörter Zahn behandelt werden kann, hängt von mehreren Faktoren ab. Zum einen kommt es auf das Ausmaß der Zerstörung an. Wie weit ist die Zahnkrone zerstört? Auf welcher Ebene befindet sich die Fraktur? Zudem hängen die Behandlungsoptionen vom Alter des Patienten ab, so sind etwa Implantate bei jungen Menschen kontraindiziert. Hinzu kommen allgemeinmedizinische Risiken, die gegen ein Implantat sprechen können. Oft werden jedoch die Zähne aufgrund des Destruktionsgrades entfernt und durch eine Brücke, ein Implantat oder eine Klebebrücke ersetzt.

PTA-Forum: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein neues Verfahren zu entwickeln?

Bruhnke: Das Verfahren wurde bereits 1973 in der Literatur beschrieben und auch vereinzelt angewendet. Das Thema fasziniert mich deshalb, weil ich, aus der Zahnprothetik kommend, weiß, dass bei jeder Art von Zahnersatz, zum Beispiel Brücken oder Implantaten, nach etwa zehn Jahren mit Komplikationen zu rechnen ist. Wir wissen auch, dass eine Zahnextraktion mit einem Rückgang von Weichgewebe und Knochen verbunden ist. Das hat Folgen. Eine Wiederherstellung dieser Defekte ist für die Patienten meist sehr teuer, schmerzhaft und mit einem Leidensweg verbunden. Viel sinnvoller ist es aus meiner Sicht, einen Zahn zu bewegen und nach Möglichkeit dann zu überkronen. Das Verfahren der kieferorthopädischen Extrusion, wie die Methode im Fachjargon heißt, bietet diese Chance. Denn hier erhält man die Zahnwurzel. Man bewegt sie nach oben, und zwar genau um den Betrag, den es braucht, um oben wieder eine Krone zu befestigen. Das ist eine ziemlich einfache Bewegung, die klassischerweise von Kieferorthopäden durchgeführt werden kann.

PTA-Forum: Wie gehen Sie dabei vor?

Bruhnke: Es handelt sich um eine kleine kieferorthopädische Apparatur, die man sich wie eine kleine Zahnspange vorstellen kann, und die non-invasiv für die Dauer der Behandlung an den Nachbarzähnen verankert wird. Wir nehmen einen kleinen glasfaserverstärkten Compositstift, den wir auf der Wurzeloberfläche befestigen. Hinzu kommt ein zweiter Stift, der als Widerlager dient und an den Nachbarzähnen verankert wird. Darüber befestigen wir dann kieferorthopädische Gummis, und deren Kraft zieht die Wurzel nach oben. Auf diese Weise gewinnen wir wieder so viel Struktur des Zahnes, dass wir eine Krone befestigen können. Hierfür benötigen wir ausreichend Platz. Es ist also nicht in jeder klinischen Situation zu realisieren.

PTA-Forum: Ist der Prozess, die Zahnwurzel herauszuziehen, für die Patienten schmerzhaft?

Bruhnke: Einige Patienten sagen, dass sie in der Zeit, in der sie die Apparatur tragen, Schmerzen haben, wenn sie zum Beispiel mit der Zunge an den Zahn kommen. Das ist aber die Minderheit. Der Prozess, die Wurzel herauszuziehen, dauert im Schnitt 21 Tage. Wenn man den Zahn dann bewegt hat, wird für eine Retentionszeit von mindestens zwei Monaten (besser sechs Monaten) der Zahn an die Nachbarzähne angeklebt um den Zahn später mit einer Krone zu versorgen.

PTA-Forum: Ist diese Art von Zahn so stabil wie gesunde Nachbarzähne mit einer normal verankerten Wurzel?

Bruhnke: Der Zahn bleibt kompromittiert. Denn die Zahnwurzel ist nun kürzer und meist auch etwas schmaler. Deshalb muss man immer davon ausgehen, dass ein solcher Zahn nicht die Prognose eines natürlichen Zahnes hat. Im schlechtesten Fall, wenn das jetzt nicht funktioniert oder der Zahn doch frakturiert, haben wir es dennoch ein paar Jahre geschafft, den Zahn zu halten, bevor Zahnersatz notwendig wird. Das ist die Idee dahinter. Die Zahnlosigkeit wird auf diese Weise in ein etwas höheres Patientenalter verlagert. Hinzu kommt, dass wir mit dieser Technik das Weichgewebe und den Knochen erhalten können, der bei der Implantation dann eine große Rolle spielt.

PTA-Forum: Kann man sich vorstellen, dieses Verfahren auch für Zähne anzuwenden, die tief durch Karies zerstört sind?

Bruhnke: Viele der Zähne, die ich auf diese Weise behandle, sind aus kariösen Gründen zerstört. Die Karies wird entfernt, die Wurzel herausgezogen und dann kann auf gesunder Zahnhartsubstanz wieder eine Krone befestigt werden. Oft handelt es sich auch um Jugendliche, die sich bei einem Unfall einen Zahn herausgebrochen haben. Gerade für diese Altersgruppe ist das natürlich ein Problem, weil man erst ab einem bestimmten Alter implantieren kann.

PTA-Forum: Was ist das Neue im Zusammenhang mit diesem Verfahren, verglichen mit dem Einsatz in den 70ern?

Bruhnke: Zum jetzigen Zeitpunkt versuchen wir Langzeitdaten zu generieren, die in der Literatur in der Form noch nicht vorliegen. Es gibt Fallberichte und Fallserien bestimmter einzelner Patienten, aber Daten über zehn Jahre gibt es leider noch nicht. Das versuchen wir gerade aufzuarbeiten.

PTA-Forum: Die Krankenkassen zahlen das Verfahren also nicht. Mit welchen Kosten müssen die Patienten rechnen?

Bruhnke: Momentan übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen diese Therapie nicht. Bei den privaten Krankenkassen und Zahnzusatzversicherungen ist eine Zuzahlung von den Konditionen abhängig, sodass hier leider keine generellen Aussagen getroffen werden können.

PTA-Forum: Vielen Dank für das Gespräch. Zum Schluss noch eine ganz andere Frage: Sie nehmen auch an Science-Slams teil?

Bruhnke: Ja, das bereitet mir große Freude. Ich wurde angefragt, habe zugesagt und werde jetzt ab und an deutschlandweit eingeladen. Menschen Sachverhalte aus der Wissenschaft nahezubringen, selbst von neuen Themen zu erfahren und Kollegen aus anderen Bereichen zu treffen, das ist super spannend und sehr bereichernd.

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